re:publica 2013: Trotz Jokes und Bananen ein Event mit Mehrwert

Die Re:Publica gilt als das „inoffzielle Jahrestreffen der Deutschen Internetszene“.  Dieses Selbstverständnis war gewissermassen auch Programm. Denn obwohl der Event mittlerweile  Besucher aus ganz Europa anlockt (und ein beachtlicher Zustrom aus der Schweiz zu verzeichnen war), waren die Sessions stark auf den aktuellen Deutschen netzpolitischen Diskurs und Agenda-Setting (Netzneutralität, Leistungsschutzrecht) ausgerichtet.

Nichtsdestotrotz erlebte ich drei inspirierende Tage mit spürbarem Unternehmergeist, digitaler Experimentierfreude, kreativen Inputs und einen Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Szenen an einem Ort. Also alles was Berlin ausmacht. Eine kleine subjektive Zusammenfassung. 

geländestation

Die angebotene Rubrikenvielfalt  (Politik&Internet; Business/Innovation; Media; Culture etc.) schlug sich auch in einer heterogenen Teilnehmerschaft wieder: Das Publikum setzte sich aus experimentierfreudigen Digital Natives und Teilnehmern aus unterschiedlichsten Berufssparten und Milieus zusammen.

Doch scheinen sich-  unabhängig ob Jemand einen Mode-, Lifestyle-, Finanz- oder Politikblog betreibt- alle mit ähnlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen: Wie verdiene ich Geld mit meinem Blog? Wie bleibe ich trotz Sponsoring und  Produktbelieferung einer Firma unabhängig? Wie erreiche ich mit meinen journalistischen Datenanalysen ein Massenpublikum?

Jene Fragestellungen wurden (zum Glück) ergebnisoffen diskutiert. Denn für verschiedene Aspekte, die mit der Digitalisierung sämtlicher Lebens- und Arbeitsbereiche einhergehen, haben wir noch keine pfannenfertige Antworten. Sonst wären sämtliche Internet-Entrepreneurs und Start-Up-Pioniere schon schwerreich.

Bei manchen Referaten schien mir der Spassfaktor von den Programm-Kuratoren (einige Titel wiesen bereits darauf hin wie „Digitale Bananen“) höher gewichtet worden zu sein anstatt der Vermittlung von gehaltvollem Experten-Knowhow.

2 Beispiele:

Bei den Politische Memen: Silly Jokes or Game Changer?“ habe ich eine Präsentation von aussagekräftigen Memen erwartet, die dank ihrer ihrer viralen Verbreitungstärke zu „Game-Changes“ von politischen Konflikten geführt haben oder zumindest in die Aufnahme der politischem Agenda der Eliten gemündet sind . Stattdessen haben die Referenten die Antwort vorweggenommen („Silly Jokes“) indem sie die bekannten „LOL“-Topics „Mitt Romney &die Aktenfrauen“ aufwärmten und im Eilverfahren Karikaturen politischer Machthaber durchbuchstabierten. Was zu grossem Gelächter im Saal führte.  Und mich ebenfalls amüsierte.  Doch in Sachen Mehrwert mich am Ende der Präsentation vor ein grosses Fragezeichen stellte.

Ein politisches Memen von Angela Merkel

Ein politisches Meme von Angela Merkel

Auch bei den Referenten, die „ Conspiracy Theories“  auf ihre Einzelteile zerlegen und Hinweise zur Errechnung des „Verschwörungstheoriegehalts“ einer im Netz verbreiteten These gaben, fragte man sich zuweilen, ob ihr stark ideologischer (NO-NAZI.NET)  Hintergrund wirklich eine wissenschaftliche Analyse jener Theorien ermöglicht.  Denn dass eine „Mehrheit der Verschwörungstheorien rechtsradikalen und antisemitischen Nährboden“ entspringen, wage ich beim berühmtesten Beispiel (Truth 9/11) mit meinem Common Sense-Wissen zu bezweifeln (und wurde auch von einem Teilnehmer öffentlich in Frage gestellt).

Der ergiebigste Vortrag mit den meisten Denkanstössen, war dann auch derjenige mit dem langweiligsten Titel: Netzwerkanalyse und Politische Öffentlichkeit“ von Stefan Heidenreich. Die Re:Publica-Macher rechneten wohl nicht mit einem derartig grossen Interesse, so dass etliche Zuhörer im kleinen Stage 7 auf dem Boden Platz nehmen mussten.

Die 4 relevanten Schlüsselpunkte für mich aus den 60 Minuten:

  • Politische Kommunikation verläuft nicht nicht nach der linearen Form (Bürger trifft eine Wahl eines Politikers, der wiederum Entscheidungen trifft). Oftmals müssen PolitikerInnen nach ihrer Amtseinweihung bereits getroffene heikle Entscheidungen ihrer Wählerbasis vermitteln (insbesondere diejenigen von supranationalen EU-Institutionen).
  • Neue Medien bilden zuerst die alten Medien ab (aktuelles Beispiel, Online-Newsportale der 1. Generation, die Printartikel abbilden), bevor sich eigene genuine Genres, Funktionsweisen und Inhalte entwickeln.
  • Gate-Keeper und Agenda-Setting waren die Elemente früherer Kommunikationsmodelle. Informationskaskaden, die sich (plötzlich) explosionsartig verbreiten und ein Thema auf die Medienagenda setzen (Selbstverbrennung eines Gemüsehändlers=> Arabische Revolution). sind der neue Forschungsgegenstand vieler Kommunikationswissenschaftler.
  • Wir analysieren den Nachrichtenwert von Twitter- Beiträgen möglicherweise noch nicht richtig (bzw. ziehen hergebrachte Analysemodelle aus der Massenmedien-Ära heran und stellen daraus ableitend womöglich die falschen Fragen). Hier muss die Forschung ansetzen und neue erkenntnistheoretische Grundlagen heranziehen.

Last but not least wurde im Saal lange über die „Zeitlichkeit“ als massgebender Faktor für eine relevante Nachricht diskutiert. Der Referent ist der Ansicht, Google vernachlässige in seiner Relevanz-Berechnung von Informationsquellen den Zeit-Faktor zunehmend.

Alles in allem: Das Referat hat mir trotz mangelhafter Illustration (die Folien waren etwas handgestrickt und erinnerten mich an die Hellraumprojektervorlesungen der früheren Uni-Zeit) spannende Einsichten der politischen Kommunikationsforschung geliefert.

re:publica: Mischung aus Open Air-Stimmung und Machertum 

Die „Macher“-Stimmung an der „re:publica 13“ auf dem Gelände war insgesamt auch das positivste Erlebnis an der dreitägigen Konferenz der Digitalen Gesellschaft. Es waren keine Messestände von Werbe-Agenturen auf dem Gelände zu sehen, sondern ein klein aber feines kreatives Durcheinander von innovativen und gemeinsinnorientierten Initiativen, Plattformen und Aktionen vorzufinden.

Das Open Air-Flair und kulturelle Rahmenprogramm luden mehrfach zum Outdoor-Verweilen auf den Stühlen ein. Bei manchen (für mich trivialen) Spass-Sessions konnte man die Sonne guten Gewissens geniessen, ohne dabei gross etwas verpasst zu haben. Zum Glück, bei dem dichten Programm.

Doch dürften sich die Referenten vielleicht künftig auch mehr an „schwerere“ Kost (die Denkarbeit der Zuhörer fordert) heranwagen, wie das grosse Interesse bei dem Nischenreferat „Netzwerkanalyse und politische Öffentlichkeit“ gezeigt hat. Und den Programmfokus vielleicht etwas internationaler ausrichten.

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