Um es vorwegzunehmen. Herr Strittmatter hat (noch) nicht geantwortet. Die Sache ist für ihn vermutlich gegessen und er lacht sich vielleicht ins Fäustchen ab der Publizität, die ich ihm für seine provokanten Thesen bescherte (hab iich übrigens gern gemacht).
Ich möchte die Gelegenheit dennoch nutzen, um Revue passieren zu lassen, das Echo zusammenzufassen und einige Missverständnisse aufzuklären. Mit dem Wirbel, den ich mit meinem Brief ausgelöst habe, habe ich wirklich nicht gerechnet. Die Rückmeldungen sind überwiegend positiv. Einige witzige Neologismen (Strittstorm, Strittmacher) sind durch die ganzen Online-Diskussionen entstanden. Mein Netzwerke hat sich um spannende Kontakte erweitert. Und ich durfte mich für eine kurze Zeit als „Web-Celebrity“ fühlen (ich hätte dieselbe Reichweite natürlich lieber mit einer reflektierenden Abhandlung des aktuellen politischen Geschehens erreicht, aber seis drum. Das ist Jammern auf hohem Niveau).
Doch würde ich – gemessen an gewissen Reaktionen- retrospektiv ein paar Sätze anders formulieren. Nicht weil ich mich darob einschüchtern liess, sondern weil es nicht zwingend meine Absicht war, mich als Anwältin der Social Media-Industrie und digitalen Werbeszene hochzuspielen. Sich aber, der Tonalität entnehmend, vielleicht gewisse Sätze im Nachhinein durchaus so lesen lassen.
Meine Intention war keineswegs in meinem offenen Brief Social Media als Allheilmittel für die Werbeindustrie propagieren. Dabei – und insofern haben Kritiker und Herr Strittmatter, wenn er darauf anspielte, auch Recht- kann man mit dem Bestand gegenwärtiger Online-Werbekampagnen im deutschsprachigen Raum durchaus hart ins Gericht gehen. Denn viele Marken tun nichts anderes, als Facebook&Co. mit langweiligen Plakat-Werbebotschaften zu bespielen, die zuvor irgendwo auf Printmaterial abgedruckt worden sind.
Es gibt massenweise Online-Kampagnen, die mich anöden und Beispiele von Unternehmen, die es besser sein lassen sollen. Facebook und Google-Ads, bei denen ich nicht im Traum dran denken würde, diese anzuklicken (ausser um dem Unternehmen ein paar Klickkosten zu bescheren, ganz bösartig, ich weiss).
Verdeutlichen möchte ich meine Haltung zu diesem Thema durch das Video „Wort zum Montag“ des Creative Coachs Rolando Baron. Er griff meinen offenen Brief auf und gab Herrn Strittmatter insofern Recht, als dass die blöden sozialen Medien in der öffentlichen Wahrnehmung oftmals mit der blöden, selbstgefälligen selbstweihberäuchernden Social Media-Beraterszene assoziiert wird . Die Beraterszene- eine Gilde selbst ernannter Social Media-Experten, die den verunsicherten Unternehmen den ganzen tag Shitstormpräventionsregeln aufoktroyiere und damit null Kreativität an den Tag lege. Oder wie er es selber mir im Gespräch gegenüber formulierte: Vor lauter Regeln gehen die Inhalte verloren…
Zugegeben, zuerst etwas „betüpft“ (ich fühlte mich auch hier zu Beginn des Videos falsch verstanden und zitiert), musste ich im Verlauf des Videos ein wenig schmunzeln. Denn die Umschreibung durch alltägliches „Teletubbie-social-Geträller“ zwischen allen herumtummelnden Beratern und Geeks, worüber Rolando Baron herzog, die allesamt auch lehrmeisterlich tagein tagaus predigen, was man alles tun und lassen sollte als Unternehmen, finde ich ehrlich gesagt sehr treffend. „Biederkeit“ nennt es der Creative Coach. Und wenn ich meine Timeline auf Twitter so betrachte, dann sind 70% davon in der Tat Relevanz-Beteuerungen über Social Media und Zeigefinger-Hinweise (was mich daran erinnert mein Twitter-Account zu entrümpeln und mich gewisser Berater zu entledigen).
Mein Quintessenz im offenen Brief, worauf ich eigentlich hinauswollte, ist, dass Werbung online und offline genauso langweilig , blöde oder spannend sein kann. Ein guter Slogan und ich halte inne vor einem Plakat. Eine spannende Auflösung durch paar Klicks und ich verbreite diese Kampagne via meiner Netzwerke weiter. Somit wollte ich vor allem die Gleichberechtigung unterschiedlicher Kommunikationswege und -mittel propagieren.
Ich stamme überhaupt nicht aus der Marketing-Szene (ich habe Politik studiert), mich interessieren die Social Media-Berater genauso wenig wie auch alle Online-Werber. Ich habe meinen offenen Brief an Herr Strittmatter aus Sicht einer Nutzerin geschrieben. Insofern habe ich mich nicht darüber „empört“, weil ich mich in meiner beruflichen Daseinsberechtigung beleidigt fühle (mich treibt in diesem Zusammenhang nur die Frage um, inwiefern sich der IQ eines Online- und Offline-Werbers unterscheidet).
Denn wenn Herr Strittmatter tiefen Intellekt als Niveau für das Verständnis „dieser Art von Werbung“ voraussetzt, impliziert dies auch ein tiefes Niveau seitens der Empfänger und Zielgruppen. Und genau diese pauschale Diskreditierung einer ganzen Generation störte mich. Woran ich jetzt noch festhalte.
Nur weil das bestehende Angebot die Qualitätsansprüche nicht erfüllt und hierbei noch viel Verbesserungspotenzial besteht, bedeutet das nicht , dass die Web-Öffentlichkeit niveaulos ist.