Nicht immer lassen sich die publizistischen Gattungen „Marketing/Unternehmenskommunikation“ und „Journalismus“ so scharf voneinander trennen, wie Dogmatiker dies gerne hätten. Als Beispiel: Mein eigener Job. Im zweiten Teil meiner Content Marketing-Arbeit erläutere ich den Interessenskonflikt zwischen Journalisten und PR-Fachleuten. Und versuche darzulegen, weshalb es eine spannende Aufgabe sein kann, ein Unternehmen mit grossem „Shitstormpotenzial“ kommunikativ zu vertreten.
Win-win-Situation? Marketeers und Journalisten haben einen unterschiedlichen Fokus
Aus der trockenen Materie „Wirtschaftsdaten“ interessante Inhalte zu generieren, die zur spielerischen Auseinandersetzung anzuregen, erfordert Kreativität. Und auch einen interessierten wachen Geist, der das Tagesgeschehen aufmerksam verfolgt. Insofern unterscheidet sich meine Arbeitsweise kaum von derjenigen eines Journalisten.
Doch die Zusammenarbeit mit Medienschaffenden verläuft nicht immer so harmonisch, wie es die skizzierte win-win-Situation (Exklusivität der „Auswertungen“ für den Journalist und Nennung der Orell Füssli Wirtschaftsinformationen AG (OFWI) als Datenlieferant) andeutet. Dies wiederum ist in der „inhärenten Natur“ der Berufsgattungen begründet:
Die Redaktionen gehe ich für meine Medienarbeit meist proaktiv an (im Fall der Abzocker-Initiative vermisste ich – im Nachhinein bemerkt- bei der hiesigen Journaille etwas die Eigenintiative). Ein/e Journalist/-in „springt“ oft erst auf die Daten an, wenn sich eine spannende These oder ein Trend dahinter verbirgt, den ich ihm/ihr zuerst schmackhaft machen muss (welche ich aber gemeinsam mit dem Journalisten analysieren und herauskristallisieren möchte). Die OFWI als Informationsanbieter leistet somit „forfait“ unternehmensinterne (unentgeltliche) Datenproduktion, die Ressourcen bindet und mehrere Arbeitsstellen involviert. Ohne Gewissheit, dass jenes Datenmaterial aufgegriffen wird von den Medien.
Exklusivität versus Reichweite
An diesem Punkt widersprechen sich also die Logiken der journalistischen und der Marketing-Arbeitsweise: Wir verfolgen das Prinzip „Mithilfe von Daten werden Trends analysiert, aus denen sich die Story ableiten lässt“ während der Journalist den „Storyfokus“ (aktueller Aufhänger löst Anfrage nach Daten zur Untermauerung/Widerlegung der These aus) im Auge behält.
Darüber hinaus hat die OFWI Interesse an einer breiten Streuung ihrer Infocube-Daten, während die Medienschaffenden (insbesondere der Sonntagspresse) stets auf Exklusivität pochen, um den Primeur-Status zu garantieren. Natürlich verbreitet sich dank Social Media eine spannende Mediengeschichte samt Datensätze wie ein flächendeckendes Lauffeuer.

Unterschiedliche Ansätze: In unserer Content Marketing-Arbeit möchten wir aus Daten Geschichten ableiten…

…während die Medienschaffenden in erster Linie die aktuelle Storyidee suchen (und erst als 2. Priorität die passenden Datensätze dazu).
Social Media nicht nur als Verbreitungskanal sondern als Quelle für neue Inhalte nutzen
Die Social Media-Sphären fungieren für mich als Inspirationsquelle, als Kommunikationsplattform und als Resonanzkörper. In der Weböffentlichkeit oder eben vor allem auf Twitter tummeln sich -wie wir alle wissen- haufenweise Journalisten, Medienschaffende, Kommunikationsfachleuten und sämtliche Politikinteressierte. Im Online-Dialog mit verschiedenen Nutzern entstehen so Ideen für neue Inhalte und Auswertungen zu aktuellen Themen (so zum Beispiel zur #LexUSA).
Meine aufgebauten Netzwerke über Twitter, Facebook und Google+ dienen mir natürlich ebenso als Katalysator für eine breite virale Verbreitung. Trifft ein Bloginhalt gerade einen Zeitnerv, so wird dieser mit der wertvollsten digitalen Währung belohnt: Dem sozialen Teilen oder eben „sharing“ genannt.
Daten = Transparenz= Produkt und auch Content Strategie der OFWI
Marketing bedeutet per Definition auch Verkaufsunterstützung. Natürlich habe ich auch einen kommerziellen Auftrag zu erfüllen und den potenziellen Konsumenten anzusprechen. Übergreifende Zielsetzung ist schliesslich die Produktbewerbung unserer neu lancierten Online-Produkte (kostenpflichtige Informationsinhalte wie Bonitätsinformationen), die es „smart“ in greifbare Stories und Anschauungsbeispiele zu packen gilt. Expertise zu beweisen, ist meiner Meinung nach die erfolgsversprechendere Content-Strategie, als im gewöhnlichem Corporateblabla-Marketingsprech die eigenen angebotenen Risikomanagementinstrumenten zu lobpreisen.
Neue Datensätze versuch ich jeweils multimedial (Infografiken, Tools) anschaulich aufzubereiten. Ziel der Content Marketing-Massnahmen ist es, Personennetzwerke der Wirtschaft abzubilden. Ohne diese in einen wertenden Kontext abzubilden und erwähnte Persönlichkeiten an den Internet-Pranger zu stellen (wir bilden lediglich öffentlich zugängliche Handelsregister-Daten an).
Das Credo der OFWI (welches auch meiner persönlichen Überzeugung entspricht) lautet somit „Transparenz in Wirtschaft und Politik mittels Daten“ herzustellen: Eine populärer Begriff, der bei webaffinen Politikinteressierten und Open-Data- Befürwortern Zuspruch findet. Multiplikatoren, die für die OFWI eine genauso wertvolle Zielgruppe darstellen, wie potenzielle Kunden (Unternehmen, die ihre Risiken minimieren möchten). Diese gezielt anzusprechen und auf neue „teilenswerte“ Inhalte aufmerksam zu machen, hat sich bewährt. So wurde beispielsweise unsere Verwaltungsrats-Infografik von vielen reichweitenstarken Politologen und Sozialgeografen weiterverbreitet.
Unternehmen mit grossen Shitstormpotenzial sind eine spannende Herausforderung
Ich gebe Peter Hartmeier recht, der beim Anlass „Brisante Seitenwechsel- Vom PR in den Journalismus und zurück“ seinen Seitenwechsel zur UBS mit den Worten verteidigte: Es ist eine spannende Herausforderung eine Branche zu vertreten, die sich bisher durch eine zurückhaltende Informationspolitik und teilweise grossem “Shitstirmpotenzial” auszeichnet. Denn gerade Wirtschaftsdatenbanken sind oft Gegenstand von Konsumentenschutzforen und -magazinen und anfällig für Empörungswellen im Web. Diesen proaktiv vorzubeugen und bei negativer Erwähnung (was ein zeitnahes systematisches Social Media Monitoring erfordert) rasch zu intervenieren, ist eine lehrreiche Aufgabe. So versuchen wir mit unserer Content Marketing-Strategie für den wirtschaftlichen Nutzen jener Register zu sensibilisieren. Der grosse Sturm blieb bisher noch aus. Vielleicht auch gerade wegen unserer aktiven Content Marketing-Arbeit, die auch als Krisenprävention wirkt.
Wer den ersten Teil meiner Content Marketing-Arbeit noch nachlesen möchte: https://adfichter.wordpress.com/2013/05/30/1-jahr-bei-der-ofwi-die-verschmelzung-von-content-marketing-und-wirtschaftlichem-enthullungsjournalismus-teil-1/
Thema sich anbahnender shitstorm. Wie kann da interveniert werden ohne Oel ins Feuer zu giessen?
Hallo Dan. Zuerst einmal ein grosses Sorry…Irgendwie hat der Spam-Filter bei Deinem Kommentar versagt und mir Deinen Kommentar lange nicht angezeigt (sondern bereits in die Spamschlaufe verbannt).
Danke für Deine Frage.
„Sich anbahnend..“ Ich glaube indem man als Unternehmen überhaupt reagiert, wird schon relativ viel Wind aus den Segeln genommen. Wichtig ist schlüssig und auch „menschlich“ zu argumentieren, also dass dem Beschwerdeführer bewusst ist, ein Mensch steht hinter dem Unternehmen. Und dass das Anliegen ernst genommen wird. Wenn jetzt jemand unser ganzes Geschäftsmodell kritisiert, würde ich auf den Geschäftsnutzen unserer Kunden (bzw. auf die Risiken, die sie vermeiden müssen bei Kundenbeziehungen) hinweisen. Und auch auf unsere Vorkehrungen in Sachen Datenschutz. Wenn es sich um Fehlern in unseren Datenbanken handelt, müsste ich schnell reagieren. So geschehen im Fall „Albtraum Sunrise“…Ein sich anbahnender Shitstorm konnte ich so fast in einen „Lovestorm“ umkehren;-) http://www.digitalwork.ch/beim-barte-des-propheten-sunrise/page118.html
Du beschreibst die verschiedenen Zielsetzungen von Unternehmen und Journalisten sehr gut. Aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen, dass diese noch grösser wird, wenn „hinter“ den Themen nicht Daten liegen (die wohl objektiv erhoben sind und somit wenig Potenzial zur Kritik bieten), sondern konkrete Produkte, Dienstleistungen und Personen.
Hier verpassen wohl viele Firmen Chancen, mit den Medien in Kontakt zu treten, in dem man auf die Attribute der Produkte/Dienstleistungen fokussiert, statt auf die Geschichte darum (den Nutzen). Das gemeinsame Geschichtenerzählen ist und belibt jedoch schwierig. Denn die Medien setzen sich sehr schnell dem Verdacht aus, mit einem Anbieter „unter einer Decke“ zu stecken, nicht kritisch zu sein. Dies ist schade, denn es könnte viel spannendes entstehen und TROTZDEM die Distanz der Medien zu den Anbietern aufrecht erhalten werden. Die Geschichte muss einfach spannend genug sein (und nicht immer negativ).
Danke für Deinen Kommentar, Roman. Die journalistische Unabhängigkeit ist ein wichtiges Prinzip des Medienschaffens, den ich vergass im Blogartikel zu erwähnen. Bei der OFWI verfällt ein Journalist weniger in diesen Filz-Ruch, da unser Produkt in diesem Sinne einen“ neutralen Anstrich“ hat. Die Hoheit des „Storytelling“ liegt beim Journalisten. Wir liefern lediglich das statische Material dazu. Aber bei anderen Produkten und Dienstleistungen ist das bestimmt schwieriger…