Sommersession 2013: Schwänzen die Unternehmer mehr als die Anderen?

Wie immer präsentiert Politnetz quartalsjährlich die Liste, welche NationalrätInnen mit Abwesenheit in der Session glänzten. In einem früheren Blogpost analysierte ich anhand des Mandatetools „Floralies“ von Infocube, ob es sich bei den damaligen Abwesenden (Herbstsession 2012) um Unternehmer oder Wirtschaftsführer handelt.

Zeit für ein Update und einen fundierten Vergleich zu den „Pflichtbewussten“: Haben in der S0mmersession vor allem die Unternehmer geschwänzt? Sind vor allem die „Quasi-Berufspolitiker“ am politischen Drücker? Und stösst unser Milizsystem aufgrund der schwierigen Vereinbarkeit von Politik und Beruf doch an seine Grenzen?

Ausschnitt der "Schwänzerdatenbank" aus der Sommersession 2013

Ausschnitt aus der „Schwänzerdatenbank“ aus der Sommersession 2013

Mit  der Anwendung  „Floralies“ lässt sich der wirtschaftliche Einfluss eines Bundesparlamentariers anhand seines Zugangs zu direkten und indirekten Kontakten zu  Entscheidungsträgern von Unternehmen und Stiftungen messen. Der innere Kreis umfasst dabei die Zahl der Verwaltungsräte und Manager, die im selben Gremium des Unternehmens /der Stiftung Einsitz haben, wie der betreffende National- und Ständerat. Der äussere Kreis multipliziert diese Zahl mit deren Kontaktnetzwerke (also der wirtschaftlichen Mit-Entscheider des Politikers).

Betrachten wir also die  „Mandatsblumen“ der 5 „Schwänzer“ im Detail:

Bis auf Oskar Freysinger ( der als Gymnasiallehrer keine wirtschaftlichen Interessensbindungen hat und vermutlich aufgrund seines neuen politischen Amts in der Walliser Exekutive berufsbedingt fehlte), sieht man bei den Meisten „verdichtete“ Blumenbilder, d.h. jene abwesenden Nationalräte verfügen über besonders viele wirtschaftliche Kontakte und sind breit vernetzt.

Hier die 5 "Kontaktwolken" der Nationalräte , die während der Sommersession 2013 am Meisten gefehlt haben.

Hier die 5 „Kontaktwolken“ der Nationalräte , die während der Sommersession 2013 am Meisten gefehlt haben.

Es scheint also, als ob die abwesenden Politiker ihre Zeit ins Networking investieren und gefragte Männer sind. Doch ist dem so?  Handelt es sich vor allem um Unternehmer mit zeitraubenden Leitungsfunktionen? Und sind die Präsenten vor allem Quasi-Berufspolitiker, die keine ausserparlamentarischen Verpflichtungen eingegangen sind?

Ich habe durch meinen Arbeitgeber, Orell Füssli Wirtschaftsinformationen AG (OFWI),  auswerten lassen, welchen Nebenmandaten sowohl die (im Volksmund genannten) 10 grössten „Schwänzer“ (die zwischen 20% und 70% der Abstimmungen versäumten) wie auch die 20 „Streber“ (die gar nie gefehlt haben) neben ihrer politischen Arbeit nachgehen. Verbände und Vereine konnten leider aufgrund von fehlenden Handelsregistereinträgen nicht berücksichtigt werden.

Die Nationalräte, die am meisten gefehlt haben (bis zu 20% aller Abstimmungen) verfügen über folgende Zahl der Interessensbindungen (sortiert nach Verwaltungsräten, Manager, Stiftungen, Kommissionen):

VORNAME   NACHNAME  KANTON  PARTEI     ANZ_VR_MANDATE  ANZ_MANAG_MANDATE  ANZ_STIFT_MANDATE  ANZ_KOMM
Christoph Blocher ZH SVP 3 0 2 2
Rudolf Joder BE SVP 1 0 0 4
Fulvio Pelli TI FDP 13 0 4 4
Daniel Fässler-Eiermann AI CVP 2 0 1 2
Oskar Freysinger VS SVP 0 0 0 0
Martin Landolt GL BDP 3 2 1 2
Geri Müller AG Grüne 3 0 4 2
Hans Egloff ZH SVP 14 0 0 1
Ulrich Giezendanner AG SVP 5 0 0 1
Hans Grunder BE BDP 6 1 0 1
Total 50 3 12 19
Durchschnittliche Mandatszahl pro Kopf     5 0.3 1.2 1.9

Die NationalrätInnen, die nie gefehlt haben, haben folgende Anzahl berufliche Verpflichtungen (sortiert nach Verwaltungsräten, Manager, Stiftungen, Kommissionen)::

VORNAME   NACHNAME   KANTON   PARTEI    ANZ_VR_MANDATE    ANZ_MANAG_MANDATE    ANZ_STIFT_MANDATE   ANZ_KOMM
Adrian Amstutz BE SVP 4 0 2 4
Gabi Huber UR FDP 0 0 1 8
Daniela Schneeberger BL FDP 2 1 0 3
Pirmin Schwander SZ SVP 0 0 0 6
Jacques Bourgeois FR FDP 2 0 5 2
Yvonne Feri AG SP 1 0 2 2
Yvette Estermann-Gavlasova LU SVP 0 0 1 2
Hugues Hiltpold GE FDP 3 0 0 7
Barbara Patricia Gysi SG SP 2 0 0 1
Christian Lüscher GE FDP 2 0 0 3
Roland Rino Büchel SG SVP 0 0 0 4
Barbara Schmid-Federer ZH CVP 3 0 0 10
Andrea Martina Geissbühler BE SVP 0 0 0 3
Verena Herzog TG SVP 0 0 1 1
Céline Marie-Claire Amaudruz GE SVP 2 2 0 3
Nadja Pieren BE SVP 1 0 0 1
Thomas Weibel ZH glp 0 0 0 6
Margareta Kiener Nellen BE SP 3 0 2 15
Louis Schelbert LU Grüne 2 0 1 6
Silvia Schenker BS SP 1 0 2 8
Elisabeth Schneider-Schneiter BL CVP 1 0 5 4
Total 29 3 22 99
Durchschnittliche Mandatszahl pro Nationalrat 1.38 0.14 1.04 4.7

Quelle: www.infocube.ch

Die „Schwänzer“ haben mehr Verwaltungsratsmandate

Resultat: Insgesamt verfügen die 10 abwesenden Nationalräte über 19 Verwaltungsratsmandate, 7 Stiftungsratsmandate und arbeiten in 12 Fachkommissionen mit. Die 21 „Musterschüler“ hingegen haben zusammen 29 Verwaltungsratsmandate, 3 Managermandate, 22 Stiftungsratsmandate und arbeiten in 99 Fachkomissionen mit.

Berechnet man den Durchschnitt der Mandate pro Nationalrat der unterschiedlichen Gruppen, so ergibt sich folgendes Bild: Diejenigen Politiker, die oft abwesend waren, sind in durchschnittlich 5 Aufsichtsgremien von Unternehmen aktiv. Die meisten anwesenden Nationalräte hingegen haben durchschnittlich 1,4 Verpflichtungen in Aufsichtsgremien in Unternehmen pro Kopf. Die Verwaltungsratsfunktionen scheinen sich auf die Präsenz auszuwirken.

Die Musterschüler wenden mehr Zeit in Kommissionen auf  und agieren als Quasi-Berufspolitiker

Die Aussage, die diszipliniertesten NationalrätInnen hätten aufgrund fehlender externer Aktivitäten oder anderer politischer Verpflichtungen mehr Zeit, um am Drücker zu sein, kann man aber so nicht gelten lassen. Schliesslich arbeiten mit durchschnittlich 4,7 Kommissionen pro Kopf die 21 Musterschüler mehr an Gesetzesvorlagen mit, als es die Abwesenden tun. Letztere haben nämlich durchschnittlich „nur“ in 1,9 Kommissionen Einsitz. Die 21 NationalrätInnen investieren somit mehr Zeit für parlamentarische Projekte, während die 5 abwesendsten Bundesparlamentarier ein grösseres Pensum in die strategische Unternehmensführung aufzuwenden scheinen.

Fazit: Die These der „disziplinierteren“ Quasi-BerufspolitikerInnen wird durch die Befunde bestätigt. Die Präsenten agieren vermehrt auf verschiedenen politischen Einflussebenen (Session, Kommissionen) und erfüllen damit immer mehr die Anforderungen des Typus „Berufspolitiker“.

Aber: Keine der „Schwänzer“ ist gemäss Infocube.ch in zeitintensive Chefpositionen- also in Managermandate- eingebunden. Somit nehmen die meisten Abwesenden keine belastenden operativen Funktionen ein. Ausnahme stellt der ehemalige BDP-Präsident Hans Grunder dar, der eine eigene Firma betreibt.  Der abgetretene SVP-Nationalrat Peter Spuhler scheint als CEO und Verwaltungsrat der 3500 Mitarbeiter umfassenden „Stadler Rail“ eine der „Letzten“ der „Vollblut-Unternehmensgarde“ gewesen zu sein.

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