Sei authentisch. Aber unpolitisch.

Ein SRF-Mitarbeiter gratuliert einem Politiker zu seiner Nomination auf Twitter und wird daraufhin von seinem Arbeitgeber gerügt. „Wie bitte?“ war mein erster Gedanke, der mir beim Lesen dieser Schlagzeile durch den Kopf schoss. Was mich daraufhin zur Frage verleitete: Wie politisch dürfen sich eigentlich Kommunikationsverantwortliche und Unternehmensmitarbeiter im Netz äussern?

Die Glaubwürdigkeit des Journalisten müsse gewahrt werden, schrieb das SRF in einer internen Mitteilung. Ein anderer SRF-Mitarbeiter offenbarte mir im mündlichen Gespräch: Problematisch sei nicht in erster Linie der Status als Medienschaffender sondern die Anstellung bei einem staatsnahen Betrieb (SRG SSR), der einen neutralen Service Public gewährleisten soll.

Unabhängig von diesem Kontext: Denken wir diesen Sachverhalt einmal weiter und weiten ihn auf Kommunikations- und im weitesten Sinne Unternehmenrepräsentanten aller Art aus. Gilt das viel beschworene Gut „Glaubwürdigkeit“ nur im Journalismus?

Auch Corporate Blogger müssen sachlich und glaubwürdig auftreten

Nun mag jemand einwenden, Journalisten und Kommunikatoren dürfe man nicht in einen Topf werfen. Falsch. In früheren Blogartikeln habe ich schon einmal versucht darzulegen, wie kommunikativ artverwandt ein Content Marketeer und Journalist denken und agieren muss. Wir Corporate Content-Bloggers sind ebenfalls darauf getrimmt, über Produkte (in meinem Fall Daten) in ausgewogener Art schreiben. Mit Betonung auf ausgewogen, denn “neutral” ist ein Artikel allein aufgrund der konkreten Themensetzung sowieso nie. Noch heikler ist dabei meine Branche: Denn „mein“ Content-Umfeld dreht sich hauptsächlich um Wirtschaftszusammenhänge.

Selbstdisziplinierung ist Voraussetzung

Da ich in meinem Unternehmen keinen publizistischen Richtlinien und keinem Verhaltenskodex im Social Web unterworfen bin, habe ich sozusagen freie Bahn. Was ich natürlich nicht wortgetreu umsetze: Ich bin mit meinem Status als Social Media-Verantwortliche (und damit auch Online-Aushängeschild) der OFWI zu einer gewissen Selbst-Disziplinierung angehalten. Die Wortwahl und mein Verhalten reguliere ich selbst. Auch mit meinem -dank meiner verschärften Privatsphäreeinstellungen- schwer zugänglichen Facebook-Profil , wo ich mich etwas “privater” als sonst äussere, befinde ich mich im halböffentlichen Raum.

Sei authentisch, zeige Persönlichkeit. So lautet das Credo auf Social Media. Bei der Politik hingegen wird zur Vorsicht gemahnt.

Sei authentisch, zeige Persönlichkeit. So lautet das Credo auf Social Media. Bei der Politik hingegen wird zur Vorsicht gemahnt.

…aber Selbstverleugnung?

Dennoch: Jahrelang wird uns von Social Media-Experten und Coaches gepredigt, wir Mitarbeiter von Unternehmen seien auch Markenbotschafter, die sichtbarsten Leistungsträger eines Unternehmens. Wir sind es die die Botschaft des Unternehmens transportieren und ihr ein Gesicht geben sollen. Authentizität, Emotionen und klare Standpunkte sind gefragt auf Social Media. Aber eine politische Meinung äussern, das gelte es dann doch zu unterlassen? Andreas von Gunten kritisierte diesen Grundsatz zu Recht: Seine Meinung zu unterlassen und sich auf die Zunge zu beissen, sei Selbst-Verleugnung. Ein solcher Maulkorb hemmt uns in der Selbstentfaltung und auch daran,  in sozialen Netzwerken seine ganze Persönlichkeit ganzheitlich preis zu geben und zu leben.

Die professionelle Distanz bröckelt auf Social Media

Mich zu einem Bravo aufgrund einer politischen Nomination hinreissen zu lassen, fände ich jetzt in meinem Fall wenig verwerflich. Es könnte sich ja um einen Bekannten aus meiner Politnetz-Zeit handeln. Damals pflegte ich Kontakte jeglicher politischer Couleur und könnte daher problemlos auch einem Kandidaten virtuell gratulieren, der nicht auf meiner politischen Augenhöhe ist. Auch bei JournalistInnen, die tagtäglich in Kontakt mit politischen Akteuren auf Twitter miteinander verbunden sind, ist klar, dass diese professionelle Distanz bröckeln wird. Allein schon aufgrund des lockeren Umgangstons, der zur Dialogkultur auf Twitter gehört.

Die Sache mit der „Neutralität“

„Neutralität“ gehört auch zum Berufsethos von Sozialwissenschaftlern, die das Weltgeschehen kommentieren müssen. Meine PolitologInnen-KollegInnen heben oft ihre analytische parteiisch unabhängige Betrachtungsweise aktueller Phänomene hervor.  Ein parteipolitisches Bekenntnis ist unserer Zunft selten zu entlocken. Auch ich bin – als Parteilose und Politologin – darauf konditioniert, Zustände und Begebenheiten aus einer analytische Brille zu sezieren und einzuordnen. Doch bin ich auch kein unbeschriebenes Blatt und habe ein politisches Herz. Und ich deklariere die Meinungen auf Twitter ebenfalls als meine Eigenen.  Dem viel gelesenen Standardsatz in jeglicher Twitter-Bio. Das richtige Mittelmass einer professionellen Sichtweise und einen Positionsbezug zur Wahrung der Glaubwürdigkeit ist eine permanente Gratwanderung.

Was wäre gewesen, wenn die FDP ein Positionspapier zur Medienförderung verabschiedet hätte?

Noch ein letztes kleines Gedankenspiel:  Dem Vernehmen nach schien der vom SRF-Mitarbeiter beglückwünschte Kandidat dem linken Lager anzugehören. Das von der SP entworfene und rege diskutiere Medienförderungspapier wurde schon vielerorts kontrovers abgehandelt (hierfür empfehle ich unbedingt die Replik von Daniel Binswanger auf die Verlagshysterie lesen). Mag dieser reflexartige Aufschrei in beiden Fällen mit der Angst von Medienschaffenden zusammenhängen, zu sehr in die linke Gesinnungsecke gerückt zu werden? Daher die letzte offene Frage: Wie hätte wohl die hiesige Medienszene reagiert, würden die Freisinnigen ein Papier zur Stärkung der Medienvielfalt verabschieden?

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