Wieso wir „Borgen“ lieb(t)en

Wer hoffte, ich werde in diesem Blogpost mit neuen Insider-Informationen über eine allfällige Fortsetzung der beliebten Politserie „Borgen“ aufwarten können… Leider nein. Obwohl bei der amerikanischen IMDB-Plattform offiziell noch kein Ende von Borgen verkündet worden wird (2010-), scheint vor paar Wochen wirklich die allerletzte Folge ausgestrahlt worden zu sein. Das Finale rundete das Wirken der ehemaligen Premierministerin konziliant und glaubwürdig ab: Die Hauptprotagonistin Brigitte Nyborg kehrt zurück an die Macht, verzichtet aber bescheiden auf den Premierposten und wird dadurch dem Volkswillen gerecht, der ihrer neuen Partei auf Anhieb 13 Sitze  aber keine regierungsbildende Mehrheit bescherte.   

Lasst uns also die Serie nochmals Revue passieren und noch etwas in Erinnerungen schwelgen: Wieso wir Borgen lieb(t)en und weshalb die SRG SSR (oder das SRF) gut daran täte, eine eigene unterhaltsame Polit-Serie auf die Beine zu stellen, anstatt verklärte, antiquierte Heldenmythen zu produzieren…

Die Pforten der Macht. Nach Christiansborg (nicht im Bild) streben die dänischen Politiker. Quelle: pixabay.com

Die Pforten der Macht. Nach Christiansborg, dem dänischen Regierungssitz , streben die dänischen Politiker (im Bild die Tür eines Parlamentsgebäudes) Quelle: pixabay.com

Der Blogger Lukas Riepler hat in seiner Analyse die Gründe für die weltweite Borgen-Begeisterung brillant zusammengefassst und mit zahlreichen Hintergrundfakten ergänzt.  Ich versuche in diesem Blogpost die Beweggründe noch auf das Schweizer TV-Publikum umzumünzen, da sich auch hierzulande die Serie grosser Beliebtheit erfreute. Und ich versuche aufzuzeigen, was wir von „Borgen“ über Politik lernen konnten:

  • Wir Schweizer identifizieren uns mit anderen kleinen „globalen Playern“. Dänemark ist ein Kleinstaat und zählt weniger Einwohner als die Schweiz. Sowohl die Schweiz als auch Dänemark treten auf der internationalen Bühne immer wieder als Vermittler von regionalen Konflikten auf (was in der Folge „Friedensverhandlungen“ schön thematisiert worden ist). In Dänemark scheint ausserdem- wie auch in der Schweiz – die Immigrationspolitik ewiges Politikum zu sein. Diese Konfliktlinien wurde bei “Borgen” immer wieder aufgegriffen. Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied bei den politischen Systemen: Anstatt eines Milizparlaments wie in der Schweiz, existiert in Dänemark ein hochprofessioneller Politbetrieb mit einem breiten Parteienspektrum (ich dachte früher, es gäbe nur in der Schweiz so einen fragmentierten Parteienmarkt) was nicht zuletzt auf die niedrigen Eintrittshürden (2%-Wahlhürde) zurückzuführen ist. Dass jene BerufspolitikerInnen sowie die gesamte Entourage manchmal in eine eigene Parallelwelt abdriften, manifestiert sich schön im Titel der Sendung. Borgen bedeutet übersetzt: “Die Burg”. Damit ist Christiansborg gemeint, den dänischen Regierungssitz.   Brigitte Nyborg gehörte als Premierministerin der Moderaten-Partei an, die am Ehesten mit unserer FDP vergleichbar ist. Aufgrund von politischen Unstimmigkeiten mit dem Vorsitzenden trat sie aus der Partei aus und gründete eine neue politische Gruppierung, die “Neuen Demokraten”.  Das Schweizer Äquivalent der“Neuen Demokraten” wären wohl am Ehesten „unsere“ Grünliberalen. Sie befürworten eine freiheitliche Marktwirtschaft mit ökologisch nachhaltiger Ausrichtung und verfolgen in der Ausländerpolitik einen restriktiveren Kurs als die linken Parteien. Ich bin übrigens gespannt, ob andere Schweizer PolitologInnen oder Politikinteressierte diese Einschätzung teilen… (Kommentare erwünscht!)
  • Wie sehr Medien- und Politikwelt miteinander verbandelt sind, wird in der dritten Staffel sehr gut veranschaulicht. Dierevolving doors ist ein Phänomen, welches wir gerade im Milizparlament gut kennen: PolitikerInnen, die nach dem Ende ihrer politischen Laufbahn in der Wirtschaft oder im Lobbyismus Fuss fassen und umgekehrt. In Dänemark scheint diese Symbiose zudem in Form von engen Beziehungen von Medien und Politik zu gelten. Katrine Fønsmark, eine hochambitionierte Journalistin wechselt in die Politik und wird Pressesprecherin von Nyborgs neuer Partei. Kasper Juul, ehemaliger Spin-Doctor von Nyborg, erhält umgekehrt eine eigene Sendung beim Fernsehsender TV1 (sein Rollenwechsel und die Entwicklung seines Charakters kamen in den letzten Folgen leider reichlich zu kurz, wie auch schon Riepler feststellte). Diese Seitenwechsel wirkten zuerst nicht zuletzt aufgrund des Zeitsprungs in der Dritten Staffel auf den Zuschauer etwas befremdend, doch erscheinen sie einem im Verlauf der Staffel immer “natürlicher”. Denn beide kennen die Regeln des politischen Spiels und des medialen Agenda-Settings sehr gut und nutzen dieses Wissen in ihrer neuen Aufgabe gewinnbringend aus.                                                                                                                        Ich war übrigens überrascht, wieviele Boulevard-Printtitel in Dänemark existieren, die begierig die Intimitäten und persönlichen Schicksale der PolitikerInnen skandalisieren. Da sind wir mit unseren einzigen Boulevardmedien “Blick” und “20 Minuten” und dem restlichen Blätterwald geradezu glücklich gesegnet…
  • Politik ist oft ein Kuhhandel, wie uns bereits vor 10 Jahren der Doku-Film “Mais im Bundeshuus” eindrücklich demonstrierte.  Die Ideologie wird oft dem Pragmatismus geopfert. Manch ehrgeiziges Projekt von Nyborg scheiterte am Widerstand oder an den Eitelkeiten ihrer direkten Widersacher oder Mitstreitern  aus den eigenen Reihen. Doch die Premierministerin liess gemeinsam mit ihren engsten Beratern stets politischen Sachverstand walten und ringte bis zuletzt um einen Kompromiss.  Wurden aber die Konsens-Lösungen am Ende so verwässert, dass kein ideologischer Bezug mehr zum ursprünglichen Gesetzesvorstoss bestand, hatte sie die Courage die ganze Vorlage zu verwerfen. Diese Gratwanderung zwischen Machterhalt, Gesichtsverlust, Idealismus, sowie Reform- und Gestaltungswillen machte fast jede Folge spannend bis zur letzten Minute.
  • Vor Rückschlägen im Privatleben ist niemand gefeit. Auch eine Premierministerin nicht. Die Zuschauer leiden und fühlen mit der Hauptprotagonistin mit, deren Ehe während der Amtszeit in die Brüche geht. Wie die NZZ es treffend beschrieb, wurde dabei eine ungeschönte Realität vermittelt, die hautnah mitfühlen lässt, wie es den Protagonisten dabei ergeht.

Politische Bildung spannend inszeniert. Ein Vorschlag für die SRG SSR

Natürlich bietet ein siebenköpfiger Bundesrat nicht den gleichen sexy TV-Stoff wie die personalisierte Politik eines parlamentarischen Systems mit eine/r Premierminister/-in (welches zusätzlich der Europäischen Union angehört und mit Grönland auch eine weltpolitisch bewegte Vergangenheit  besitzt).

Doch würde eine ebenbürtige gut produzierte Schweizer Ausgabe ein gutes Lehrstück in Sachen Politische Bildung abgeben.  Bundesbern-Insider könnten Drehbuchautoren mit Inputs beliefern.  Man könnte politische Brennpunkte in 60-minütigen Sendeformaten spannend aufbereiten. Ausserdem lernen die Zuschauer dadurch manches über das Feilschen und Verhandeln in der Wandelhalle und andere taktische Ränkespiele im Polit-Zirkus.

Die vermittelten Inhalten entsprechend vielleicht nicht den bisherigen gängigen Staatskundeunterrichtslektionen, würde aber Politik einem grösseren und jüngeren Publikum schmackhafter geworden. Natürlich muss man als Zuschauer auch kritische Distanz zum TV-Geschehen walten lassen: Wie sehr fiktive Realitäten die öffentliche Wahrnehmung des Publikums beeinflussen können, zeigte sich bei der amerikanischen Polit-Serie “West Wing” (ein grosser Teil des amerikanischen TV-Publikums wollte danach Martin Sheen als nächsten US-Bundespräsidenten wählen) und eben auch bei “Borgen”: Ein Jahr, nachdem die 1. Staffel im Jahr 2010 über dem dänischen TV-Bildschirm flimmerte, wurde tatsächlich  die erste Premierministerin Dänemarks gewählt. Sie gehört aber zu den Sozialdemokraten. Welchen Anteil „Borgen“ daran hatte, sei mal dahingestellt.

Und nun interessiert mich: Was hat euch an „Borgen“ begeistert?

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4 Gedanken zu “Wieso wir „Borgen“ lieb(t)en

  1. Bin ganz deiner Meinung – das Zusammenspielen von Medien, Politik und Privatem bzw. „Vitamin B“ macht die Serie wohl so sehenswert. Auch deshalb funktioniert sie wohl nur mit einem Kleinstaat mit einem zersplitterten Parteiensystem (man stelle sich das Ganze mit zwei oder drei Parteien vor… wäre wohl nicht halb so spannend).
    Was ich persönlich aber nicht unterstützen würde wäre eine Schweizer Produktion dieser Art. Das SRF würde wohl wieder irgendeinen übermotivierten Drehbuchautoren engagieren, was eine unglaubwürdige, oftmals ins lächerliche gezogene Story zur Folge hätte, und die Schauspieler und Schauspielerinnen würden wahrscheinlich massloses Overacting betreiben. Schade, aber ich traue der CH einfach keinen solche Produktion zu…

    • Da hast Du wohl recht, ich habe das Overacting und den flachen Plot bildlich vor mir… Auch wenn Bundesbern wohl genügend Stoff bieten würde. Vielleicht müsste man den Schauspielern und Autoren dieselben Produktionsbedingungen anbieten wie es das dänische Fernsehen tut (neben einem grossen Budget vor allem Zeit).

  2. Sehr interessante Analyse, der Vergleich zur Schweiz ist sehr aufschlussreich. Als Österreicher stelle ich mir eine Frage bezüglich der Einwanderungspolitik der Schweiz: Inwiefern unterscheidet sich hier der Kurs zwischen Grünliberalen und Linken?

    • Danke Dir, Lukas! Also die Grünliberalen befürworten bei Migrationsfragen einen restriktiveren Kurs (ähnlich der Bürgerlichen) und trugen die Verschärfungen im Asylwesen in den letzten Jahren mit (verhalfen ihnen auch teilweise zur Mehrheit). In diesem Punkt würden sich wohl Grünliberalen von den Neuen Demokraten am Meisten unterscheiden. Sie stellen sich allerdings gegen die Isolationsbemühungen unserer nationalkonservativen Kräfte und befürworten den bilateralen Weg mit Europa. Auch Restriktionen beim Einbürgerungsrecht, wie sie die SVP vorantreiben wollte, lehnten die Grünliberalen ab. Die relativ junge Partei (die sich durch die Abspaltung von den Grünen konstituiert hat und viele junge Mitglieder hat) ist auch seit Jahren auf Erfolgskurs. Im Nationalrat (Grosse Kammer) ist sie oft Mehrheitsbeschafferin für die linken Parteien Sozialdemokraten und Grüne (bei Gesellschaftsfragen, Bürgerrechten, Bildung, Umwelt, Energie). Bei Asyl und Ausländerfragen alternierend. Und bei Budget- und Finanzfragen paktiert sie eher mit dem bürgerlichen Block.

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