Warum Sozialwissenschaftler „arbeitsmarkttauglicher“ sind, als man denkt

Sozialwissenschaftler sind oft praxiserprobte flexible „Allrounder“. Genau in diesen Stärken liegen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Als ehemalige Absolventin der Politikwissenschaft bin ich für einmal selbst „betroffener“ Gegenstand einer aktuellen politischen Debatte. Hier folgt nun meine persönliche Meinung zum kritisierten Ansturm auf geistes- und sozialwissenschaftliche Studiengänge in Schweizer Universitäten. 

Die von Experten konstatierten Zahlen und Trends in den Medien sind weder zu bestreiten. Noch handelt es sich um besonders neue Aussagen. Denn schon zu meiner Studienzeit (Beginn Ende 2002) sprach man vom anhaltenden Boom der besagten Phil I-Studiengänge und warnte vor den dünn gesäten Jobs in diesen Bereichen.

Ich halte die Rezepte und Diagnose von Wirtschaftdachverbände jedoch für etwas  verfehlt. Ein bewährtes Selektionsinstrument wie der Numerus Clausus wird den Andrang auf die beliebten „Phil I“-Lehrgänge nicht eindämmen. Ebensowenig sehe ich in der höheren Arbeitsbelastung der ETH-Ausbildungen den Grund für die anhaltende Popularität von Sozialwissenschaften. Wir fürchten uns nicht vor dem Lerndruck bei naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen, sondern interessieren uns schlichtweg mehr für die Erforschung der Mechanismen der Europäischen Union oder von psychischen Erkrankungen.

Euro-Krise verstehen wollen 

Der Grund für die hohe Zahl von Geistes- und Sozialwissenschaftlern liegt in den (für uns) spannenden Lerninhalten und am Willen, komplexe Phänomene der sozialen Realität verstehen zu wollen. Unsere Ausbildung befähigt uns zwar nicht zur Ausübung eines -konkret auf unsere Fähigkeiten zugeschnittenen- Berufs. Doch eröffnen sich uns eine Vielfalt von potenziellen Berufsfeldern. In „meinem Fall“ (Politikwissenschaft) sind es Arbeitskontexte wie Forschung, Journalismus, öffentlicher Sektor (Verwaltung und Institutionen), Kommunikation/PR, Banken, NGOs, Verbände , Markt- und Sozialforschung, Diplomatie.

Wirksamer als ein Numerus Clausus: Das etwas umständlich geschriebene Einführungsbuch für Politikwissenschaftler, welches jeder Erstsemester durchpauken muss. Und schon manchen Ex-Kommilitonen vorzeitig zum Abbruch des Studiums veranlasste.

Vielleicht wirksamer als ein Numerus Clausus: Das etwas umständlich geschriebene Einführungsbuch für Politikwissenschaftler (von Werner J. Patzelt), welches jeder Erstsemester an der Uni Zürich durchpauken musste. Und schon manchen Ex-Kommilitonen zum vorzeitigen Abbruch des Studiums veranlasste.

It’s the experience, stupid

Das mangelnde Interesse der Privatwirtschaft ist aber nicht schön zu reden: Die harte Selektion durch künftige Arbeitgeber schreckt meiner Meinung nach ohnehin einen Grossteil potenzieller „lic.phil“-Studenten a priori ab. Diese Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage frustrierte auch viele Abgänger meines Jahrgangs, die sich nach erfolgreichem Studium oft in ein „Doktorat“ hinüberretteten, um der drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen. Auch wenn wir mittlerweile als das neue „Prekariat“ gelten, bringen Geistes- und Sozialwissenschaftler jedoch einige wissenswerte arbeitsmarkttaugliche Kompetenzen mit.

Der kreative und fruchtbare Umgang mit der eher tristen Jobperspektive verlangt von uns nämlich ein besonderes Engagement neben dem Studium ab. Denn oftmals – wie auch bei Wirtschaftswissenschaftlern der Fall- ist es das Praxisknowhow, welches neben dem Diplomtitel die massgebende Qualifikation für die Erstanstellung nach einem Studium darstellt. Mangelnde Erfahrung ist dabei eines der grössten Stolpersteine akademischer Jobaspiranten, welche zum frühzeitigen Ausscheiden aus dem Bewerbungsprozess führt. Für viele frisch gebackene Sozial- und Geisteswissenschaftler beginnt damit ein tautologisch zermürbender Teufelskreislauf (denn ohne Erstanstellung erlangen wir auch keine Erfahrung und umgekehrt.).

Keiner fragt in der Stellenausschreibung nach einem Soziologen oder Historiker

Im Wissen des beschränkten Jobangebots sind wir daher permanent angehalten, während des Studium uns notwendige kompetitive „Durchsetzungsskills“ anzueignen und werden früh gezwungen,  unseren „Marktwert“ zu testen.  Ebenso müssen wir uns früh ein professionelles Netzwerk aufbauen und stets „personal branding“ betreiben (was ich auch mit meinem Blog ein Stück weit versuche).

So zog sich auch mein Studium zeitlich schleichend bis zur zweistelligen Semesterzahl hin, weil ich nebenbei zuerst in einer NGO als Kommunikationshilfkraft jobbte, Daten in einem Marktforschungsinstitut eintippte (im selben Institut intern immerhin zur Datenauswertung „aufstieg“) und gleich einen Tag nach meiner letzten Lizentiatsprüfung das Hochschulpraktikum bei der Bundesverwaltung begann (obwohl ich mir eigentlich lieber eine Auszeit gegönnt hätte). Ich habe versucht, jegliche Opportunitäten zu nutzen und nichts unversucht zu lassen.  Bei keinem meiner damaligen Stellen (und auch jetzigen Stellen), waren jemals „Politikwissenschaftler“ gesucht. So habe ich je nach Stellenprofil die erworbenen Fertigkeiten aus Studium und Praxis unterschiedlich stark angepriesen und mich selber dabei in unterschiedlichen Rollen definiert.

Künstliche Beschränkungen und Zutrittsbarrieren würden zwar die Zahl der effektiven Phil I-er wohl reduzieren. Doch neben der damit verbundenen Abwertung der Schweizerischen Maturität fände mit einem NC eher eine Verlagerung der Studierendenschaft auf weitere „sachverwandte“ Lehrgänge (PR, Soziale Arbeit, Journalismus-Hochschulen) statt.  Das ursprüngliche Ziel, mehr Studierende für Natur- und Technikwissenschaften zu begeistern, wäre mit dieser Massnahme wohl kaum erreicht. Einen Ausbau unserer Fachhochschulen erachte ich als den vielversprechenderen Weg, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.