Die SVP-Familieninitiative und was sie mit Gender Budgeting zu tun hat

Die Linke ist entsetzt. Einen Monat vor der Abstimmung hat die SVP-Familieninitiative gute Umfragewerte erzielt und scheint sogar bei ihrer eigenen Basis Zustimmung zu finden. Undogmatisch und rein konzeptionell betrachtet gibt es aber aus Gleichstellungssicht durchaus Argumente, die für die „Familieninitiative” sprechen. Sie ist dennoch abzulehnen. Meine Kurzanalyse aus Gender Budgeting-Optik.

In meiner politikwissenschaftlichen Lizentiatsarbeit vor fünf Jahren untersuchte ich den damals gehypten Gender Mainstreaming-Ansatz in öffentlichen Verwaltungen. Ich versuchte zu verstehen, weshalb dieser omnipräsent propagierte Gleichstellungsansatz – die soziale Kategorie „Geschlecht“ soll bei allen öffentlichen Massnahmen konsequent mitgedacht werden- einen solch grossen Zuspruch in der Politik und bei Behörden fand. Mein Befund: Die GleichstellungspromotorInnen schmiedeten kluge Allianzen. Nicht zuletzt mit den Verwaltungsreformern, die eine umfassende Modernisierung des Staatsbetriebs anstrebten – auf Neudeutsch: ein New Public Management.

Gender Budgeting: Das Staatsbudget geschlechtspezifisch denken

Ein wichtiger Ansatz um die Geschlechterrelevanz und Kostenwahrheit bei öffentlichen Massnahmen herzustellen, ist das Gender Budgeting. Die Staatseinnahmen und -ausgaben sollen dabei den verschiedenen Lebensrealitäten von Männer und Frauen gerecht werden. So gab es mehrere Befunde von Gender Budgeting in denen nachgewiesen werden konnte, dass einige Verwaltungsmassnahmen – etwa bei der Infrastruktur und Bildung – mehrheitlich männlichen Bürgern zugute kamen, während andere einseitig auf Frauen ausgerichtet waren.

Mit der Familieninitiative würde die Betreuungsarbeit staatliche Anerkennung erhalten

Viele Faktoren konnten bisher bei einer Gender Budget-Aufstellung nur grob oder gar nicht beziffert werden. Eine grosse Blackbox in der Geschlechter-Staatsrechnung und  ein Blindfleck in der volkswirtschaftlichen Fachliteratur ist die „Care Economy„. Diese beinhaltet die unentgeltliche Betreuungs-, Pflege- und Hausarbeit, die nach wie vor vorwiegend von Frauen geleistet wird. Dieser informelle Sektor würde durch einen Abzug der Steuern immerhin eine Form von staatlicher Anerkennung haben. So würden sämtliche Frauen als Leistungsträgerinnen gewürdigt, die bisher durch die Maschen unseres wertschöpfungsorientierten BIP-Rasters gefallen sind (ob der noch zu definierende Basiswert für den Abzug auch dem ökonomischen Marktwert entspricht, ist freilich eine andere Frage).

…aber: nicht die mittelständische Hausfrau würde profitieren

Soweit die Theorie. Und meine ersten Überlegungen. Um es genauer zu wissen, schrieb ich eine Email an eine Fachfrau, die mir zu diesem Thema die beste Expertise geben kann: Meiner damaligen Interviewpartnerin Mascha Madörin, schweizweit bekannte feministische Ökonomin und Dozentin. Die vielbeschäftigte Baselbieterin fand kurz Zeit mir ihre Meinung kurz und prägnant zu meiner Frage, ob die Familieninitiative als einen gleichstellungspolitischen Schritt zur Aufwertung der Care Economy gewertet werden kann, kundzutun:

“Steuerabzüge sind nicht dasselbe wie das zur Verfügung stellen von ökonomischen Ressourcen (Kinderkrippen, hohe Kinderzulagen etc.). Steuerabzüge privilegieren Leute mit guten Einkommen gegenüber Leuten mit niedrigen Einkommen

Es wird also das „falsche“ Instrument gepriesen um die Betreuungsarbeit abzugelten. Von einer Mogelpackung spricht gar die SP-Nationalrätin Yvonne Feri. Sie erklärte auf Facebook die Auswirkungen der ideologisch aufgeladenen Familieninitiative anhand eines nüchternen Zahlenbeispiels. Bitte lest das untere Beispiel ganz durch:

yvonneferi

Spätestens bei diesem Szenario bezweifle ich, ob mit dieser Massnahme wirklich Frauen mit dem „richtigen“ sozioökonomischen Status unterstützt werden. Sprich: Frauen und Familien, die in der Tat auf eine finanzielle Entlastung angewiesen sind.

Auch in Deutschland wird gestritten

Ein Blick über die Landesgrenze zeigt: Das Thema “Herdprämie” polarisiert nicht nur in der Schweiz. In Deutschland wird schon seit Längeren heftig über das von der CDU lancierte Betreuungsgeld debattiert (was im Gegensatz zum Steuerabzug vielleicht die „geschlechter-gerechtere“ Form staatlicher Unterstützung ist). Anfangs ein potenzieller Keil für eine Schwarz-Rote Heirat, hat man in den aktuellen Sondierungsgesprächen bereits eine allseits zufriedenstellende Lösung gefunden: Es soll – fast schon in föderalistischer schweizerischen Manier- den Bundesländern die Hoheit überlassen werden, ob sie jenes Betreuungsgeld einführen möchten oder nicht. Dies klingt zwar nach einem echten Kompromiss, könnte aber im schlimmsten Fall die Ungleichheit der beruflichen Karrierechancen und -anreize innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zementieren. Und dieselben Probleme wie unser Kantönligeist bei der Bildung schaffen.