In der Höhle des blauen Löwen

Letzte Woche begab ich mich freiwillig in die Höhle des blauen Top 5-Löwen. Beim Podium der Top 5 diskutierten die StadtratsanwärterInnen der SVP, FDP und CVP über die Rettung des Gewerbes in der Stadt Zürich. Wobei «Diskussion» stark übertrieben ist. Die bürgerlichen Kandidaten überschlugen sich mit ihren Voten in der Frage, wer die Bedürfnisse der Gewerbler besser kenne und mehr Parkplätze schaffen könne. Unterhaltsam war die Runde trotz breitem Konsens allemal: dank erfrischender Fragen von einigen erbosten Gewerblern im Publikum und den satirischen – aber ernst gemeinten – Statements von Roland Scheck.

In der letzten Woche fanden zwei merkwürdige Wahlkampf-Podien statt. Merkwürdig, weil von einem «Podium» keine Rede sein kann, wenn politisch homogene Diskussionsteilnehmer aufeinander treffen und debattieren. Der Gewerbeverband Zürich lud im Swissôtel Zürich-Oerlikon zum Thema «Wieviel Gewerbe braucht Zürich?» zur «Debatte» mit den Top 5- Kandidaten ein.

Maskottchen und Symbol für die bürgerliche "Top 5-Offensive"

Maskottchen und Symbol für die bürgerliche „Top 5-Offensive“

Die Wahlkampfplattform der Gewerkschaften mit den linken Stadtratskandidaten mutete noch seltsamer an, weil gar keine Diskussionsfrage gestellt wurde, sondern auf dem Flyer ein kurzer Abriss über die Erfolgsgeschichte Zürich (dank linker Regentschaft im Stadtrat natürlich erst ermöglicht) formuliert war. Da mich die Herausforderer mehr interessieren als eine Stunde Selbstbeweihräucherung, war die Entscheidung also relativ schnell gefallen: Ich besuchte die Top 5.

Den ganzen Artikel gibt es hier zu lesen: http://www.karldergrosse.ch/in-der-hoehle-des-blauen-loewen/

Zu guter Letzt: Ein Brauch der Blogosphäre

Bevor ich neue Vorsätze für 2014 fasse, möchte ich noch paar Alte umsetzen.  Dank Marie-Christine Schindler weiss ich von solch interessanten Ritualen der Blogosphäre wie zum Beispiel der Blog-Parade und dem Blog-Stöckchen. Da ich dieses neulich von ihr auffangen durfte, schliesse ich wie in diesem Tweet versprochen mein Jahr mit diesem letzten Blogartikel ab.

Und ich bin so nett, einen Vorsatz für 10 weitere BloggerInnen bereits vorzuformulieren, indem ich  ihnen das Stöckchen gleich weiterreiche. Übers Mitmachen im nächsten Jahr würde ich mich freuen.

Dies waren also nun die Fragen von Marie-Christine an mich:

1. Welche fünf Keywords treffen auf dich zu?

Chaos, Prokrastination, impulsiv, Genuss, Politik

2. Wenn morgen das Internet abgestellt wird, dann bedeutet das für mich persönlich, …

… ein grosses Problem, da ich dann arbeitslos wäre. Die Konditionierung der letzten Jahre haben meinen Alltag ziemlich digitalisiert. Und ja mein Beruf definiert sich ja auch über das Internet (Social Media Kommunikation).

Ausserdem ertappe ich mich oft dabei, dass ich – wie ich neulich twitterte– in einem Printtext nach einem Wort suche und mir sehnlichst die Suchfunktion Ctrl+F herbeiwünsche…

Dies bedeutet aber nicht, dass ich mich nicht selber schon bewusst öfters gewisse Zeitfenster offline setzte und dies nicht ausgiebig genossen habe. Meine Ferien im Ausland erlebe ich beispielsweise total internet-frei.

3. Dein Gegenüber rechnet dir vor, wie lange es noch bis zur Pensionierung dauert, damit es sich mit diesem Social-Media-Hype nicht mehr beschäftigen muss. Was sagst du?

Besser Du rechnest nach, wieviel Zeit Du mit der Ignoranz dieses Hypes verloren hast. Die sozialen Netzwerke werden irgendwann mal vorbeigehen, bzw. aufgehen in die alltägliche Kommunikationsstruktur, in der digital und analog mehr und mehr verwoben werden. Sich darauf einzulassen ist vielleicht eine Umstellung und erforderte eine andere Art der Verständigung, da man sich nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzt. Aber am Ende lernt man so viele interessante Leute kennen, die man nicht zufällig an der nächsten Strassenecke getroffen hätte.

Update 28.12.2013 um 19:00: Social Media ist wie die direkte Begegnung zwischen zwei Menschen eine Frage der Haltung. Ist jemand offen für neue Personen, hört man ihnen zu und möchte einen Dialog auf gleicher Augenhöhe starten, so spielt es keine Rolle  durch welche Kanäle das geschieht. Ist also mein Gegenüber offen dafür im direkten Gespräch, so wäre es auch ein Leichtes für ihn dieses online fortzusetzen.

4. Wie bleibst du über das, was die Welt bewegt, auf dem Laufenden?

DIE Welt  oder das Weltgeschehen gibt es meiner Meinung nicht, sondern eher viele verschiedene disparate Themen-Öffentlichkeiten und für alle gibt es Fachblogs und Plattformen der digitalen Avantgarde und Meinungsführer. Ich versuche was Wirtschaft und Politik angeht, wenig News zu konsumieren, sondern eher die reflektierenden Geschichten zu lesen. Ich habe mir schon oft eine Newsdiät verordnet, auch wenn ich den Echtzeit-Charakter von News-Tickern und Live-Streams über alles liebe.

Ich lese mit Vorliebe gerne Spiegel Online, Zeit.de und auch den Tagi Online. Die meisten Titel lasse ich mir aber von meiner Twitter-Timeline servieren, beispielsweise durch den News-Män. Twitter ist für mich sowieso die personalisierte Zeitung, da Gleichgesinnte die von ihnen gelesenen Artikeln mit einer persönlichen Note anreichern. Erst dadurch wird der Artikel schmackhaft für mich.

Da mich auch Reflexionen rund um die Medienwelt interessieren, lese ich auch öfters mal die Medienwoche oder  den Blog Lousy Pennies.

Und dann gibt es noch einige amerikanische Blogs wie Politico und Tech President, in denen ich mich über politische Innovationen im Web und Insider-News in Washington informiere.

Was Entwicklungen in  Social Media und  allgemein in der IT-Wirtschaft angeht: Die “Klassiker” wie t3n, techCrunch, netzwertig.com, etc.

5. Welches ist das bisher beste Social Media Event, an dem du teilgenommen hast?

Der beste Event bis anhin war eigentlich „Data Storys“ vom Centre of Storytelling letzten Herbst. Gerade weil Social Media nicht Hauptthema der Veranstaltung war, sondern als selbstverständlicher Bestandteil von Data Stories behandelt wurde. Das Thema wurde sehr vielseitig aus Marketing-, Journalismus-, Künstler- und Philosophie-Blickwinkeln betrachtet.

6. Wie findet ein Newbie Anschluss an die Schweizer Online-Szene?

Indem er seine Themen findet und einen Blog aufsetzt. Ich folge viele vielen unbekannten BloggerInnen, die aber vielversprechend schreiben und von denen man wahrscheinlich in Zukunft viel erwarten kann. Hinter Blogs stehe Persönlichkeiten, die subjektiv über ihre Meinungen und Ansichten schreiben. Gewinnt man bekannte Multiplikatoren als Blog-Abonnenten, erzielt man schnell eine grosse Reichweite.

Erst der Blog und dann die Social Media-Profile. Diese Reihenfolge würde ich empfehlen.

7. Welches sind deine drei Lieblings-Apps?

Flipboard, Twitter, Google Drive

8. Wir basteln uns ein Social-Media-Bullshit-Bingo. Welche fünf Begriffe dürfen auf keinen Fall fehlen?

Conversion-Rate, “Wir müssen jetzt auch Social Media”, Fav-en, Content is King…  Das sind jetzt so die spontanen Begriffe, für Weiteres müsste ich den SocialMedia-Sprech konsultieren.

Und nun ihr:

Nachdem ich nun meinen Beitrag „geleistet“ habe, reiche ich das Blog-Stöckchen weiter an ein paar weitere ausgewählte BloggerInen, über die mich folgendes interessieren würde…

Luzia Tschirky

Roman Kappeler

Alexander Sautter

Olivia Kühni

Nick Lüthi

Andreas Kyriacou

Carmen Epp

Sofia Esteves

Anna Jobin

Thomas Gemperle

1. Hast Du den Offline-Day mitgemacht? Wenn Nein, weshalb nicht? Und wenn Ja, wie war es? 

2. Nenne bitte den Monat und das Jahr Deines allerersten Blogartikels und den Titel davon. 

3.  Welches App schaust Du morgens als Erstes an…?

4. Könntest Du Dir vorstellen eines Tages Dein Geld alleine im Netz zu verdienen?

5. In welchem Jahr, glaubst Du, wird der erste Schweizer Wahlkampf hauptsächlich “im Netz” gewonnen?

6. Ganz ehrlich: Hast Du irgendwas an Deinen digitalen Kommunikationsgepflogenheiten verändert, seit PRISM der NSA bekannt geworden ist (Mails-Verschlüsselung zum Beispiel)?

7. Bist Du auf “phubbing” reingefallen?

8. Was erklärst Du alteingesessenen kulturpessimistische Printjournalismus-Koriphäen wie Frank Schirrmacher die Chancen des Internets, wenn Du die Möglichkeit dazu hättest?

9. Du-zen oder Sie-zen im Blog? Was ist der Königsweg?

10. Ein attraktives neues Medienportal bietet Dir eine lukrative Redaktorenstelle an; Du müsstest lediglich hin und wieder ein paar Native Advertising-Texte von Unternehmen veredeln und redaktionell „anreichern“. Würdest Du annehmen?

11. Wie oft hast Du dieses Jahr “Breaking” getwittert?

Wenn ihr die Fragen beantwortet, könnt ihr euch 5-10 weitere fiese (oder eben nette) Fragen ausdenken und an Personen weiterreichen, von denen ihr schon immer mal zitiert werden wolltet…Aber keinen Zwang bitte.

Nochmals zum Prinzip, erklärt von Marie-Christine: „Das Stöckchen besteht aus vorgegebenen Fragen und ohne Deadline. Jemand beantwortet diese Fragen in seinem Blog und wirft das Stöckchen am Ende an jemand anderen (oder an mehrere) weiter.”

In diesem Sinne: Ein blogreiches 2014 wünsche ich euch allen!

Wer spart sexy?

Es ist Mitte Dezember und der rituelle Budget-Marathon (mit insgesamt 436 Anträgen) ging über die Bühne. Auf der gut gefüllten Tribüne habe ich mir das Spektakel am ersten Tag während ein paar Stunden zu Gemüte geführt und einiges über das Feilschen um Leistungen und über die Diskussionskultur im Gemeinderat gelernt.

Wahlbeobachterin Adrienne Fichter: Budgetdebatte

Es fehlte lediglich das Popcorn und ein gesprächiger nicht-betroffener Mit-Zuschauer an meiner Seite; ich schätze, meine konzentrierten Sitznachbarn waren allesamt Verwaltungsangestellte.

Mit seinen Plebisziten gegen Kunstprojeke im öffentlichen Raum feiert das konservative Lager manchmal Überraschungserfolge. Es stellte mit dem Referendum das «Nagelhaus» beim Escher-Wyss-Platz zur Disposition und bekämpfte es mit dem Slogan «5 Millionen für e Schiissi» erfolgreich an der Urne.

Diese kleinen Erfolgsgeschichten bestärkten den SVP-Gemeinderat Mauro Tuena in seinem Versprechen eingangs der Budget-Debatte, dass es mit den «Top 5» keine «unsinnigen Projekte» wie den geplanten Hafenkran-Bau oder die «Klangspiele im Tramdepot» geben werde.

Den ganzen Blogartikel gibt es hier zu lesen

Wieso wir „Borgen“ lieb(t)en

Wer hoffte, ich werde in diesem Blogpost mit neuen Insider-Informationen über eine allfällige Fortsetzung der beliebten Politserie „Borgen“ aufwarten können… Leider nein. Obwohl bei der amerikanischen IMDB-Plattform offiziell noch kein Ende von Borgen verkündet worden wird (2010-), scheint vor paar Wochen wirklich die allerletzte Folge ausgestrahlt worden zu sein. Das Finale rundete das Wirken der ehemaligen Premierministerin konziliant und glaubwürdig ab: Die Hauptprotagonistin Brigitte Nyborg kehrt zurück an die Macht, verzichtet aber bescheiden auf den Premierposten und wird dadurch dem Volkswillen gerecht, der ihrer neuen Partei auf Anhieb 13 Sitze  aber keine regierungsbildende Mehrheit bescherte.   

Lasst uns also die Serie nochmals Revue passieren und noch etwas in Erinnerungen schwelgen: Wieso wir Borgen lieb(t)en und weshalb die SRG SSR (oder das SRF) gut daran täte, eine eigene unterhaltsame Polit-Serie auf die Beine zu stellen, anstatt verklärte, antiquierte Heldenmythen zu produzieren…

Die Pforten der Macht. Nach Christiansborg (nicht im Bild) streben die dänischen Politiker. Quelle: pixabay.com

Die Pforten der Macht. Nach Christiansborg, dem dänischen Regierungssitz , streben die dänischen Politiker (im Bild die Tür eines Parlamentsgebäudes) Quelle: pixabay.com

Der Blogger Lukas Riepler hat in seiner Analyse die Gründe für die weltweite Borgen-Begeisterung brillant zusammengefassst und mit zahlreichen Hintergrundfakten ergänzt.  Ich versuche in diesem Blogpost die Beweggründe noch auf das Schweizer TV-Publikum umzumünzen, da sich auch hierzulande die Serie grosser Beliebtheit erfreute. Und ich versuche aufzuzeigen, was wir von „Borgen“ über Politik lernen konnten:

  • Wir Schweizer identifizieren uns mit anderen kleinen „globalen Playern“. Dänemark ist ein Kleinstaat und zählt weniger Einwohner als die Schweiz. Sowohl die Schweiz als auch Dänemark treten auf der internationalen Bühne immer wieder als Vermittler von regionalen Konflikten auf (was in der Folge „Friedensverhandlungen“ schön thematisiert worden ist). In Dänemark scheint ausserdem- wie auch in der Schweiz – die Immigrationspolitik ewiges Politikum zu sein. Diese Konfliktlinien wurde bei “Borgen” immer wieder aufgegriffen. Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied bei den politischen Systemen: Anstatt eines Milizparlaments wie in der Schweiz, existiert in Dänemark ein hochprofessioneller Politbetrieb mit einem breiten Parteienspektrum (ich dachte früher, es gäbe nur in der Schweiz so einen fragmentierten Parteienmarkt) was nicht zuletzt auf die niedrigen Eintrittshürden (2%-Wahlhürde) zurückzuführen ist. Dass jene BerufspolitikerInnen sowie die gesamte Entourage manchmal in eine eigene Parallelwelt abdriften, manifestiert sich schön im Titel der Sendung. Borgen bedeutet übersetzt: “Die Burg”. Damit ist Christiansborg gemeint, den dänischen Regierungssitz.   Brigitte Nyborg gehörte als Premierministerin der Moderaten-Partei an, die am Ehesten mit unserer FDP vergleichbar ist. Aufgrund von politischen Unstimmigkeiten mit dem Vorsitzenden trat sie aus der Partei aus und gründete eine neue politische Gruppierung, die “Neuen Demokraten”.  Das Schweizer Äquivalent der“Neuen Demokraten” wären wohl am Ehesten „unsere“ Grünliberalen. Sie befürworten eine freiheitliche Marktwirtschaft mit ökologisch nachhaltiger Ausrichtung und verfolgen in der Ausländerpolitik einen restriktiveren Kurs als die linken Parteien. Ich bin übrigens gespannt, ob andere Schweizer PolitologInnen oder Politikinteressierte diese Einschätzung teilen… (Kommentare erwünscht!)
  • Wie sehr Medien- und Politikwelt miteinander verbandelt sind, wird in der dritten Staffel sehr gut veranschaulicht. Dierevolving doors ist ein Phänomen, welches wir gerade im Milizparlament gut kennen: PolitikerInnen, die nach dem Ende ihrer politischen Laufbahn in der Wirtschaft oder im Lobbyismus Fuss fassen und umgekehrt. In Dänemark scheint diese Symbiose zudem in Form von engen Beziehungen von Medien und Politik zu gelten. Katrine Fønsmark, eine hochambitionierte Journalistin wechselt in die Politik und wird Pressesprecherin von Nyborgs neuer Partei. Kasper Juul, ehemaliger Spin-Doctor von Nyborg, erhält umgekehrt eine eigene Sendung beim Fernsehsender TV1 (sein Rollenwechsel und die Entwicklung seines Charakters kamen in den letzten Folgen leider reichlich zu kurz, wie auch schon Riepler feststellte). Diese Seitenwechsel wirkten zuerst nicht zuletzt aufgrund des Zeitsprungs in der Dritten Staffel auf den Zuschauer etwas befremdend, doch erscheinen sie einem im Verlauf der Staffel immer “natürlicher”. Denn beide kennen die Regeln des politischen Spiels und des medialen Agenda-Settings sehr gut und nutzen dieses Wissen in ihrer neuen Aufgabe gewinnbringend aus.                                                                                                                        Ich war übrigens überrascht, wieviele Boulevard-Printtitel in Dänemark existieren, die begierig die Intimitäten und persönlichen Schicksale der PolitikerInnen skandalisieren. Da sind wir mit unseren einzigen Boulevardmedien “Blick” und “20 Minuten” und dem restlichen Blätterwald geradezu glücklich gesegnet…
  • Politik ist oft ein Kuhhandel, wie uns bereits vor 10 Jahren der Doku-Film “Mais im Bundeshuus” eindrücklich demonstrierte.  Die Ideologie wird oft dem Pragmatismus geopfert. Manch ehrgeiziges Projekt von Nyborg scheiterte am Widerstand oder an den Eitelkeiten ihrer direkten Widersacher oder Mitstreitern  aus den eigenen Reihen. Doch die Premierministerin liess gemeinsam mit ihren engsten Beratern stets politischen Sachverstand walten und ringte bis zuletzt um einen Kompromiss.  Wurden aber die Konsens-Lösungen am Ende so verwässert, dass kein ideologischer Bezug mehr zum ursprünglichen Gesetzesvorstoss bestand, hatte sie die Courage die ganze Vorlage zu verwerfen. Diese Gratwanderung zwischen Machterhalt, Gesichtsverlust, Idealismus, sowie Reform- und Gestaltungswillen machte fast jede Folge spannend bis zur letzten Minute.
  • Vor Rückschlägen im Privatleben ist niemand gefeit. Auch eine Premierministerin nicht. Die Zuschauer leiden und fühlen mit der Hauptprotagonistin mit, deren Ehe während der Amtszeit in die Brüche geht. Wie die NZZ es treffend beschrieb, wurde dabei eine ungeschönte Realität vermittelt, die hautnah mitfühlen lässt, wie es den Protagonisten dabei ergeht.

Politische Bildung spannend inszeniert. Ein Vorschlag für die SRG SSR

Natürlich bietet ein siebenköpfiger Bundesrat nicht den gleichen sexy TV-Stoff wie die personalisierte Politik eines parlamentarischen Systems mit eine/r Premierminister/-in (welches zusätzlich der Europäischen Union angehört und mit Grönland auch eine weltpolitisch bewegte Vergangenheit  besitzt).

Doch würde eine ebenbürtige gut produzierte Schweizer Ausgabe ein gutes Lehrstück in Sachen Politische Bildung abgeben.  Bundesbern-Insider könnten Drehbuchautoren mit Inputs beliefern.  Man könnte politische Brennpunkte in 60-minütigen Sendeformaten spannend aufbereiten. Ausserdem lernen die Zuschauer dadurch manches über das Feilschen und Verhandeln in der Wandelhalle und andere taktische Ränkespiele im Polit-Zirkus.

Die vermittelten Inhalten entsprechend vielleicht nicht den bisherigen gängigen Staatskundeunterrichtslektionen, würde aber Politik einem grösseren und jüngeren Publikum schmackhafter geworden. Natürlich muss man als Zuschauer auch kritische Distanz zum TV-Geschehen walten lassen: Wie sehr fiktive Realitäten die öffentliche Wahrnehmung des Publikums beeinflussen können, zeigte sich bei der amerikanischen Polit-Serie “West Wing” (ein grosser Teil des amerikanischen TV-Publikums wollte danach Martin Sheen als nächsten US-Bundespräsidenten wählen) und eben auch bei “Borgen”: Ein Jahr, nachdem die 1. Staffel im Jahr 2010 über dem dänischen TV-Bildschirm flimmerte, wurde tatsächlich  die erste Premierministerin Dänemarks gewählt. Sie gehört aber zu den Sozialdemokraten. Welchen Anteil „Borgen“ daran hatte, sei mal dahingestellt.

Und nun interessiert mich: Was hat euch an „Borgen“ begeistert?

Die Top 5 glänzten erstmal mit Abwesenheit

Stell Dir vor, ein Verband präsentiert seine WunschpolitikerInnen. Und kein einziger von ihnen ist vor Ort. So ähnlich muss sich das vor drei Wochen bei der Präsentation des Forums Zürich der fünf bürgerlichen Stadtratskandidaten zugetragen haben. Womit sich die Fragen aufdrängen: Wie ernst ist das vollmundig verkündete Wahlprogramm «Top 5 – Für ein liberales Zürich» zu nehmen? Und wieviel Eintracht verbirgt sich wirklich hinter der demonstrativen Top 5-Geschlossenheit, die uns neu von sämtlichen Plakatwänden anlächelt?

Ein Hinweis machte mich hellhörig: Auf Twitter antwortete neulich die NZZ-Journalistin Christina Neuhaus auf eine Frage des Kandidaten Samuel Dubno, keiner sei anwesend gewesen. Der SP-Gemeinderat Alan Sangines hakte nach und spottete über die Absenz der Kandidaten.

neuhaus

Worum es ging? Die Wirtschafts­verbände haben am 22. Oktober ihre Kampagne zum Support der bürgerlichen Stadtrats­kandidaturen vorgestellt. Ein Anlass zur Präsentation einer bürgerlichen Wahlplattform, bei der keiner der portierten Kandidaten vor Ort erscheint? Das macht trotz allfälligen Terminkollisionen nicht gerade eine gute Falle.

Den ganzen Artikel gibt es hier zu lesen..

Vom Scheitern des stadträtlichen Bürgerdialogs

In den nächsten Wochen werde ich regelmässig als Wahlbeobachterin für den „Karl der Grosse“ über den Stadtratswahlkampf 2014 bloggen. Damit mein eigener Blog in dieser Zeit nicht ganz verwaist, gebe ich hier kleine Kostproben zum Besten und verlinke dann mit dem Originalartikel auf „Karl“.

Über die Stadtratswahlen? werdet Ihr Euch vielleicht fragen. Welcher Rat ist das schon wieder? Traditionell braucht es in der Schweiz eine Weile, bis ein lokalpolitischer Wahlkampf in die Gänge kommt. Und bei Stadträten, deren Leistungsausweise kaum jemand kennt, wird deren Beobachtung eine besondere Herausforderung sein. Wieso? Ein Exekutivamt bietet zwar Gestaltungsmöglichkeiten und Prestige. Doch gleichzeitig verschwinden neue Stadträte oft von der Bildfläche. Zur Ernüchterung ihrer Wähler.

Im Folgenden meine persönliche Bilanz zur Wahrnehmung der sieben wieder antretenden Stadträte und einiger ihrer Herausforderer aus der Opposition. Und welche Wahlkampfmomente noch für Aufregung sorgen könnten.

Den ganzen Artikel könnt ihr hier lesen. Kommentare und Widerspruch erwünscht! http://www.karldergrosse.ch/vom-scheitern-des-stadtraetlichen-buergerdialogs/

Die SVP-Familieninitiative und was sie mit Gender Budgeting zu tun hat

Die Linke ist entsetzt. Einen Monat vor der Abstimmung hat die SVP-Familieninitiative gute Umfragewerte erzielt und scheint sogar bei ihrer eigenen Basis Zustimmung zu finden. Undogmatisch und rein konzeptionell betrachtet gibt es aber aus Gleichstellungssicht durchaus Argumente, die für die „Familieninitiative” sprechen. Sie ist dennoch abzulehnen. Meine Kurzanalyse aus Gender Budgeting-Optik.

In meiner politikwissenschaftlichen Lizentiatsarbeit vor fünf Jahren untersuchte ich den damals gehypten Gender Mainstreaming-Ansatz in öffentlichen Verwaltungen. Ich versuchte zu verstehen, weshalb dieser omnipräsent propagierte Gleichstellungsansatz – die soziale Kategorie „Geschlecht“ soll bei allen öffentlichen Massnahmen konsequent mitgedacht werden- einen solch grossen Zuspruch in der Politik und bei Behörden fand. Mein Befund: Die GleichstellungspromotorInnen schmiedeten kluge Allianzen. Nicht zuletzt mit den Verwaltungsreformern, die eine umfassende Modernisierung des Staatsbetriebs anstrebten – auf Neudeutsch: ein New Public Management.

Gender Budgeting: Das Staatsbudget geschlechtspezifisch denken

Ein wichtiger Ansatz um die Geschlechterrelevanz und Kostenwahrheit bei öffentlichen Massnahmen herzustellen, ist das Gender Budgeting. Die Staatseinnahmen und -ausgaben sollen dabei den verschiedenen Lebensrealitäten von Männer und Frauen gerecht werden. So gab es mehrere Befunde von Gender Budgeting in denen nachgewiesen werden konnte, dass einige Verwaltungsmassnahmen – etwa bei der Infrastruktur und Bildung – mehrheitlich männlichen Bürgern zugute kamen, während andere einseitig auf Frauen ausgerichtet waren.

Mit der Familieninitiative würde die Betreuungsarbeit staatliche Anerkennung erhalten

Viele Faktoren konnten bisher bei einer Gender Budget-Aufstellung nur grob oder gar nicht beziffert werden. Eine grosse Blackbox in der Geschlechter-Staatsrechnung und  ein Blindfleck in der volkswirtschaftlichen Fachliteratur ist die „Care Economy„. Diese beinhaltet die unentgeltliche Betreuungs-, Pflege- und Hausarbeit, die nach wie vor vorwiegend von Frauen geleistet wird. Dieser informelle Sektor würde durch einen Abzug der Steuern immerhin eine Form von staatlicher Anerkennung haben. So würden sämtliche Frauen als Leistungsträgerinnen gewürdigt, die bisher durch die Maschen unseres wertschöpfungsorientierten BIP-Rasters gefallen sind (ob der noch zu definierende Basiswert für den Abzug auch dem ökonomischen Marktwert entspricht, ist freilich eine andere Frage).

…aber: nicht die mittelständische Hausfrau würde profitieren

Soweit die Theorie. Und meine ersten Überlegungen. Um es genauer zu wissen, schrieb ich eine Email an eine Fachfrau, die mir zu diesem Thema die beste Expertise geben kann: Meiner damaligen Interviewpartnerin Mascha Madörin, schweizweit bekannte feministische Ökonomin und Dozentin. Die vielbeschäftigte Baselbieterin fand kurz Zeit mir ihre Meinung kurz und prägnant zu meiner Frage, ob die Familieninitiative als einen gleichstellungspolitischen Schritt zur Aufwertung der Care Economy gewertet werden kann, kundzutun:

“Steuerabzüge sind nicht dasselbe wie das zur Verfügung stellen von ökonomischen Ressourcen (Kinderkrippen, hohe Kinderzulagen etc.). Steuerabzüge privilegieren Leute mit guten Einkommen gegenüber Leuten mit niedrigen Einkommen

Es wird also das „falsche“ Instrument gepriesen um die Betreuungsarbeit abzugelten. Von einer Mogelpackung spricht gar die SP-Nationalrätin Yvonne Feri. Sie erklärte auf Facebook die Auswirkungen der ideologisch aufgeladenen Familieninitiative anhand eines nüchternen Zahlenbeispiels. Bitte lest das untere Beispiel ganz durch:

yvonneferi

Spätestens bei diesem Szenario bezweifle ich, ob mit dieser Massnahme wirklich Frauen mit dem „richtigen“ sozioökonomischen Status unterstützt werden. Sprich: Frauen und Familien, die in der Tat auf eine finanzielle Entlastung angewiesen sind.

Auch in Deutschland wird gestritten

Ein Blick über die Landesgrenze zeigt: Das Thema “Herdprämie” polarisiert nicht nur in der Schweiz. In Deutschland wird schon seit Längeren heftig über das von der CDU lancierte Betreuungsgeld debattiert (was im Gegensatz zum Steuerabzug vielleicht die „geschlechter-gerechtere“ Form staatlicher Unterstützung ist). Anfangs ein potenzieller Keil für eine Schwarz-Rote Heirat, hat man in den aktuellen Sondierungsgesprächen bereits eine allseits zufriedenstellende Lösung gefunden: Es soll – fast schon in föderalistischer schweizerischen Manier- den Bundesländern die Hoheit überlassen werden, ob sie jenes Betreuungsgeld einführen möchten oder nicht. Dies klingt zwar nach einem echten Kompromiss, könnte aber im schlimmsten Fall die Ungleichheit der beruflichen Karrierechancen und -anreize innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zementieren. Und dieselben Probleme wie unser Kantönligeist bei der Bildung schaffen.

Das Beste am bedingungslosen Grundeinkommen? Dass wir darüber reden dürfen

Bei einem Mittagessen mit Sabine Gysi und Christoph Schneider (beide engagiert beim „Karl der Grosse„) sowie dem Chefredakteur des „Schweizer Monats“ René Scheu diskutierten wir kurz über die Initiative des Bedingungslosen Grundeinkommens, die letzte Woche mit 126’000 Unterschriften in der Bundeskanzlei eingereicht worden ist. Ob sie mit liberalen Idealen vereinbar sei, eine reine Utopie oder eine reine politische Schnapsidee ist… egal. Das wissen wir jetzt noch nicht. Das Beste an ihr ist: Wir dürfen sie überhaupt als ernsthafte Alternative betrachten!

Ein weiteres Liebeslied von mir an unsere Direkte Demokratie.

Dass ich nicht in der Haut eines Deutschen Stimmbürgers stecken wollte in den letzten Wochen, habe ich in meinen letzten Blogposts schon oft genug kundgetan. Der Hauptgrund sei hier nochmals aufgeführt: Trotz ideologischen Abgrenzungsversuchen aller Parteien; die wichtigsten Pflöcke des politischen Pfads hat Deutschland mit seiner Führungsrolle in Europa schon eingeschlagen. Diese institutionelle Einbindung bedeutet Verantwortung und fordert Kontinuität. Neue soziale Experimente wie beispielsweise die Einführung eines Mindestlohns ist insbesondere der Siegerpartei CDU ein Dorn im Auge. Ein fundamentaler Politikwechsel beim europapolitischen Kurs hätte aber auch bei einer rot-rot-grünen Koalition nicht stattgefunden.

Wir dürfen über grosse Würfe entscheiden, auch wenn wir die Politik der kleinen Schritte vorziehen 

Wir Schweizer sind ja bekanntlicherweise ein pragmatisches Volk. Wir mögen die Politik der kleinen Schritte und haben mit unserem System die Konsensfindung institutionalisiert. Die politischen Mühlen mahlen zwar langsam. Doch dank der Einbindung aller Interessensbindungen und Minderheiten entscheiden wir im Endeffekt kooperativ und korporatistisch. Das politische Ergebnis befriedet uns dank der Möglichkeit vorgängig mitzubestimmen (auch wenn einige Gruppierungen den Entscheidungskampf verloren haben).  Und dies ist einer der Gründe für die Stabilität unseres Landes.

Dennoch haben wir gerade dank unserer ausgeprägten demokratischen Mitspracherechte die Möglichkeit, ganze Systeme grundsätzlich in Frage stellen und fundamental neu zu denken.

Die jetzigen Sozialsysteme produzieren viel Leerläufe

So auch die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Sie geht von ganz neuen Prämissen aus. Sie setzte einen neuen Menschentypus voraus und verlangt nach neuen Formen des Zusammenlebens. Ob wir die Vorstellungskraft und Phantasie nach jahrhundertelanger gelebter Praxis der Marktwirtschaft, homo oeconomicus-Doktrin und freien Wettbewerb aufbringen können, das bezweifle ich.

Führt ein bedingungloses Grundeinkommen zu mehr Gerechtigkeit?

Führt ein bedingungsloses Grundeinkommen zu mehr Gerechtigkeit? Lasst uns darüber diskutieren.

Dennoch: Acht Monate Hochschulpraktikum beim Bundesamt für Sozialversicherungen (im Jahr 2009) haben mir gezeigt, woran unsere Sozialysteme wirklich kranken: An der Verzettelung, den Doppelspurigkeiten und dem „Drehtüreffekt“ zwischen den einzelnen Institutionen: So wird ein Bedürftiger teilweise jahrelang hin und hergeschoben, bis die Zuständigkeit und die Art der sozialen Transfers (IV oder Sozialhilfe) für ihn definiert wird. Wieviel Leerläufe mit solchen Irrungen und Wirrungen produziert wird, wie autonom jene Werke funktionieren  und welcher bürokratische Apparat drumherum entstanden ist… Diese Missstände einmal in Zahlen durchzurechnen würde eventuell eine neue Perspektive auf die Grundeinkommensdebatte eröffnen.

Ein Einkommen „aus EINER öffentlichen Hand“, welches ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht und die Grundlage für unsere Eigenverantwortung darstellen kann , scheint mir auf den ersten Blick kein abwegiger Gedanke zu sein. Wie wir dieses Modell genau ausgestalten und wie wir die Anreize für intrinsisches individuelles Handeln und Kräftemessen setzen werden, dazu habe auch ich keinen Plan.

Wir haben die Freiheit zu hinterfragen

Aber wir sollen darüber diskutieren dürfen. Ich freue mich jetzt schon auf den Abstimmungskampf. Auf die Horrorszenarien und volkswirtschaftlichen Schadensrechnungen der wirtschaftlichen Kreise, die hitzigen Debatten in Online-Foren, die ritualisierte Satire-Sphäre auf Twitter parallel zu den Pannen und Pleiten der politischen Lager, auf die TV-Auftritte flammender Befürworter und Gegner etc.

Denn das BGE (wie das bedingungslose Grundeinkommen genannt wird) wie auch die Einheitskrankenkasse stellen unsere (von Politikwissenschaftler Sabatiers genannten)  „Core Values” unseres Sozial- und Gesundheitswesens in Frage. Sie möchten beide einen Paradigmenwechsel erwirken.

Dieser Blogpost soll nicht als Anti-EU-Votum verstanden werden. So sehr ich unsere “eine 51%-Mehrheit entscheidet über 8 Millionen Einwohner bei einer Stimmbeteiligung von 42%”-Demokratie manchmal auch verfluche (es gibt Momente, da nenne ich sie gar Minderheiten-Diktatur). Denn ich „verliere“ oft  bei eidgenössischen Abstimmungen. Im Gegensatz zu einem EU-Staat haben wir grössere Spielräume.  Wir sind weniger in internationale Sachzwänge und Mechanismen eingebunden. Und wir dürfen Diskurse über unkonventionelle Gedanken führen. Wir haben die Freiheit Systeme in Frage zu stellen, neue Ideen zu testen, bei fehlender gesellschaftlicher Reife zu verwerfen und vielleicht das eine oder andere reformierende Element doch noch in die Politikprozesse in Bundesbern zu integrieren. Ganz schweizerisch eben. Diese Freiheit ist einfach Gold wert.

Grosse Koalition könnte Protestparteien Auftrieb verleihen

Seit paar Wochen zeichnete sich der Trend zum heutigen Wahlausgang ab: Die Union gewinnt die Bundestagswahl, sie verliert aber ihren politischen Sparringpartner FDP. Worüber sie nicht ganz unglücklich zu sein scheint: Mit einer Grossen Koalition unter der Führung von Merkel würde viele Positionen einfacher durchzusetzen und in der Bevölkerung breiter abgestützt sein. Dennoch würden 4 Jahre Schwarz-Rot vermutlich auch den Ein-Themen und Protestparteien dienen. Ist dieses Szenario wirklich wünschenswert? Ich wage eine kurze Prognose zur Oppositionslandschaft im Bundestag dazu. 

Die Kommunikationsprofessorin Miriam Meckel der Universität St.Gallen brachte es im gestrigen Tagi-Interview auf den Punkt: Insgeheim wünscht sich Angela Merkel (CDU) eine Fortsetzung der „Erfolgsgeschichte“ Grosse Koalition 2005-2009. Den Auftrag zur Regierungsbildung geht nach dem heutigen Wahlergebnis ganz klar an die CDU.

Mehr Stabilität durch Schwarz-Rot

Die Vorteile für ein schwarz-rotes Kabinett unter Führung von Frau Merkel liegen auf der Hand: Mehr Stabilität,  eine höhere Legitimation der Entscheidungen und einen Grundkonsens über den europapolitischen Kurs von Deutschland. Brüssel erhofft sich dadurch tragfähigere Lösungen, Griechenland ein Abrücken von der Austeritätspolitik und mehr Wachstumsimpulse.

Ausserparlamentarische Opposition würde wachsen

Zum aktuellen Zeitpunkt (20:30) sieht es nach keinem Einzug der Alternative für Deutschland aus (AfD), die mit dem Ausstieg von Deutschland aus der Währungsunion ein populistisches Kontrastprogramm vorgelegt hat. Aufatmen bei den Bundestagsparteien macht sich breit. Doch ist die fehlende Einbindung und Institutionalisierung einer Protestpartei wirklich wünschenswert?

Gesetzt den Fall es wird auf eine Schwarz-Rote Koalition hinauslaufen: Würde die Stimmungslage sich zulasten der EU-Politik der Regierung kippen, könnten Splitterparteien und Protestgruppierungen politisch Kapital daraus schlagen. Die Anti-EU-Forderungen und EU-Neinsager könnte – bei zunehmendem Unmut und Unzufriedenheit mit der Regierungskoalition – ausserparlamentarisch via Petitionen in das Parlament eingebracht werden. Fehlende politische Antworten auf einen weiteren Skandal à la NSA-Affäre wären ein gefundenes Fressen für die derzeit schwächelnde Piratenpartei.

Opposition würde Agenda 2010 bekämpfen wollen

Die bekannten und umstrittenen Arbeitsmarktinstrumente unter dem Namen „Agenda 2010“ würden von beiden oppositionellen linken Parteien (die Linke) und (die Grüne) heftigst bekämpft werden. Sie hätten die Chance,  sich damit als echte innenpolitische Reformparteien zu positionieren. Ob Steinbrücks SPD, in einer Regierungskoalition mitbeteiligt, die Auswüchse der Sozialpolitik eindämmen möchte (die er als Minister massgebend mitprägte) ist zu bezweifeln. (Über Steinbrücks Auftreten und Wahlversprechen in diesem Wahlkampf bloggte ich bereits vor paar Wochen).

Bundesländerwahlen als Ventil für Protestparteien

Dem Frust über die Regierungsführung auf Bundesebene wird traditionellerweise in den Bundesländerwahlen Ausdruck verliehen. Diese dienen oft als Ventil gegenüber den Regierungsparteien. Die Linke beispielsweise konnte unter der letzten Grossen Koalition (2005-2009) Wähleranteile über ihre Stammlande hinaus sogar in den westdeutschen Bundesländern verbuchen und in sämtlichen Länderparlamenten einziehen.

Mein Fazit: Für Europa wäre Schwarz-Rot wohl die beste Koalitionsoption. Ob das auch für die Deutsche Bevölkerung gelten wird, darin bin ich noch unschlüssig. Ein gesundes parlamentarisches Parteiensystem mit zwei grossen Volksparteien beinhaltet auch eine starke Opposition, die bereits in der Regierungsverantwortung politisiert hatte. Nur so kann extremen destabilisierenden Maximalforderungen Einhalt geboten werden.

Gedanken-Potpourri zum Deutschen Wahlkampf

Flau mag er gewesen sein, der Bundestagswahlkampf. Ohne Zweifel. Eine Woche vor der Wahl möchte ich doch noch ein paar Gedanken zum Deutschen Wahlkampf loswerden, zur Rolle der TV-Sender und wieso die Koalitionsfrage kaum thematisiert worden ist. 

  • Beginnen wir zuerst mit uns selbst: In der Schweiz sorgte der diesjährige Wahlkampf kaum für Aufruhr.  Ein Beispiel: Ich führte anhand einer Abgeordneten-Liste, die mir freundlicherweise von abgeordnetenwatch.de  zur Verfügung gestellt wurde, einen Abgleich mit unserer Infocube-Datenbank durch.  Dabei habe ich drei interessante Fälle von Deutschen PolitikerInnen mit wirtschaftlichen Beziehungen zu Schweizer Firmen aufgedeckt. Mein Tweet über die wirtschaftlichen Mandate einer CSU-Politikerin die im Verwaltungsrat der Bank Sarasin Einsitz hat, versandete leider irgendwo zwischen einigen Sommerlochempörungswellen und fand kaum Widerhall. Diese Information ist nämlich insofern interessant, als dass die Deutschland-Niederlassung der Bank erst noch letztes Jahr eine Razzia über sich ergehen lassen musste. Und das Mandat wohl kaum bisher einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewesen war.

Via Infocube vertwitterte ich ein paar Fakten zu den wirtschaftlichen Geschäftsbeziehungen von Deutschen Abgeordneten. Das Echo blieb leider aus.

Via @Infocubech vertwitterte ich ein paar Fakten zu den wirtschaftlichen Geschäftsbeziehungen von Deutschen Abgeordneten. Das Echo blieb leider aus.

  • Zum #tvduell: Auch ich habe mir das Duell via Livestream zu Gemüte geführt. Und zwar noch in meiner Feridendestination. Ionischerweise in jenem Land, welches von der Bundeswahl möglicherweise mehr betroffen sein wird, als die Deutschen BürgerInnen selbst: In Griechenland.  Das Duell wurde landauf und abwärts bereits genügend auf etliche Aspekte analysiert, zergliedert, zerredet. Deswegen nur noch ein paar letzte Eindrücke und Paraphrasen von mir:

1.) Das Duell war ganz klar Merkel-dominiert. Diese sprach langsam und gesetzt ihre politischen Erfolge und Errungenschaften herunter und liess sich bei Zwischenrufen nicht beirren. Ihre präsidiale Karte spielte sie bei Interventionen seitens der Moderatoren voll aus mit dem Verweis: “Lassen Sie mich jetzt ausreden!” Es fehlte nur noch der Zusatz: ICH bin hier die Kanzlerin.

2.) Bei Steinbrück gefiel mir zwar mir seine konkreten Benennungen der sozialen Missstände. Die Twitter-Gemeinde kritisierte zwar seine verwendeten Fachbegriffe. Doch muss man die jeweiligen Instrumente gerade in der Arbeitsmarktpolitik klar beim Namen nennen, um aufzuzeigen, was in Deutschland trotz Wohlstand und Wachstum eben doch nicht so toll läuft: Der grosse Tieflohnsektor, der die Arbeitslosigkeit vielleicht eindämmt, den Erwerbstätigen aber kaum ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.  Die vielen prekären Arbeitsformen wie Zeitarbeit, Leiharbeit und Werkverträge, die den Menschen vielleicht zu einem Einkommen aber nicht zu einem Auskommen verhelfen.

Steinbrück hätte aber meiner Meinung nach mehr auf das Zusammenspiel der Schwarz-Gelb-Koalition zielen können.  Die Kollaboration mit dem Partner FDP während der Legislatur hätte genügend Angriffspotenzial gegeben (zur Koalitionsfrage äussere ich mich weiter unten genauer).

3.) Und noch zum Setting des Duells selbst: Die vier Moderatoren von vier unterschiedlichen Deutschen TV-Sendern mögen zwar eine grössere TV-Öffentlichkeit herstellen (ich habe mich allerdings gefragt, ob die traditionellen Tatort-ZuschauerInnen das TV-Duell als valable Alternative konsumiert haben) und aus diesem Kalkül ihre Daseinsberechtigung haben. Doch wurden die FragenstellerInnen während des Duells zu Pappfiguren degradiert, was u.a. auf die Kameraführung zurückzuführen ist: Sämtliche Zwischenrufe oder Nachfragen verhallten, da das Bild praktisch pausenlos auf die beiden Kontrahenten gerichtet war. Da könnte sich die Produktionsleitung mehr von den amerikanischen TV-Duellen abkupfern. Diese verleihen dem jeweiligen Moderator/-in mehr Gewicht und lässt sie als ebenbürtige Gesprächspartner auftreten.

  • Die Sendung von letzten Mittwoch 11. September bei der wöchentlichen Polit-Show „Anne Will“ zur potenziellen Regierungskoalition „Rot-Rot-Grün“ bot bisher den interessanteren Wahlkampfstoff. Denn es sind die Koalitionskonstellationen, die bei einer parlamentarischen repräsentativen Demokratie vom Bürger auch taktisches Wählen abverlangen.  Die berechtigte Frage, ob Rot-Rot-Grün eben doch eine Option für die SPD sein kann, wurde dabei sehr interessant und kontrovers von Gregor Gysi (Die Linke) und Ralf Stegner (SPD) diskutiert. Meine Meinung: Dieses Hintertürchen wird sich die SPD offenhalten, auch wenn sie ihrem ehemaligen abtrünnigen Parteiflügel mangelnde Koalitionsfähigkeit vorwirft.

Eine illustre Gästerunde bei "Anne Will" diskutierte letzten Mittwoch die Frage, ob Rot-Rot-Grün doch ein aussichtsreiches Szenario sein könnte.

Eine illustre Gästerunde bei „Anne Will“ diskutierte letzten Mittwoch die Frage, ob Rot-Rot-Grün doch ein aussichtsreiches Szenario sein könnte.

  • Die Spass-Sender RTL/Pro Sieben kümmerten sich getreu ihrem Programmauftrag weniger um die inhaltliche Auseinandersetzungen. Sie fokussierten vor allem auf die Banalitäten und Trivialitäten des Wahlkampfs. Ein Undercover-Reporter ging auf die Strasse und fragte die Parteien bei ihren Strassenaktionen nach den Motiven für die Verteilung von seltsamen “YOLO”-Sticker (You only live once, von: Die Linke) und von Kondomen (CDU). Bezeichnend war der Auftritt eines Reportersbeim SPD-Wahlfest, der den Mitgliedern Auszüge aus einem Wahlkampfprogramm vorlas. Die Mitglieder jubelten: Das ist meine SPD! Dummerweise handelte es sich um das Programm der CDU. Eine Anekdote zur inhaltlichen Programmkonvergenz von SPD und CDU gab es also doch noch.

  • Fazit: Wäre ich Stimmbürgerin Deutschlands, wäre ich wohl nach all diesen Sendungen und Analysen ratloser als zuvor. Die inhaltlichen Differenzen zwischen den Volksparteien sind verschwindend marginal, die Koalitionsfrage muss man sich beim Ausfüllen des Stimmzettels stets im Hinterkopf behalten und trotz der suggerierten zugespitzten Personenwahl “Steinbrück versus Merkel” wählt man ja in erster Linie Parteien und nicht Köpfe. Kurzum: Ich bin froh, mich nicht auf die abstrakten Ränkespiele einzulassen, sondern auch auf sach-politischer Ebene mitreden zu können. Drum wende ich mich jetzt gleich dem Abstimmungscouvert zu.

Die Abstimmungsunterlagen vom nächstem Sonntag 22.9.2013

Die Abstimmungsunterlagen vom nächstem Sonntag 22.9.2013