Die Digitalisierung hält unaufhaltsam in allen Lebensbereichen Einzug. In allen? Nein ein paar unbeugsame Berufsgruppen leisten ungehorsamen Widerstand dagegen. Die uneinheitliche Handhabung von Patientendossiers oder Verschärfung der Urheberrechtspraxis durch Popbands wie Coldplay sind zwei Beispiele, die in unserem digitalen Alltag geradezu grotesk anmuten. Ein Blogartikel über hartnäckige Online-Resistenzen…
Ich war neulich für einen Routine-Check bei einer neuen Ärztin. Die Anamnese, die Bestandesaufnahme über Krankheiten und Symptome, ist eine altbekannte Standard-Prozedur zur Eröffnung eines neuen Patientendossiers. Mein erster Gedanke: Wie hoch wohl die Zeitersparnis wäre, wenn man diese Informationen nicht erneut generieren müsste, sondern die Ärztin auf ein zentrales Datenregister zurückgreifen könnte und allfällige Lücken noch im Schnellverfahren abfragen könnte: Allein schon um die Unzulänglichkeiten meines Gedächtnis um 8 Uhr morgen zu kompensieren: Wie hiess schon wieder die von der Apotheke XY gefertigte Salbenmischung, die ich regelmässig auftrage? Natürlich verabreichte mir die Ärztin ein neues Rezept, da eine genaue Wiedergabe der Formel drei umständliche Telefonate zur Folge gehabt hätte, wofür beide Parteien weder Zeit noch Musse gehabt haben (obwohl die alte Mischung eigentlich ganz wirksam und verträglich war).
Zentrales Datenregister gegen Gedächtnistücken und Informationsasymmetrie
Ein relevanter Hebel um die Flut steigender Gesundheitskosten einzudämmen, lässt sich also problemlos in der normalen Alltagsroutine ausmachen. Denn in einer digitalisierten Datenbank, auf die Ärzte und Apotheken gleichermassen Zugriff hätten, liegt meiner Meinung nach die Lösung für den kostenwirksamen Abbau von Informationsasymmetrien zwischen Patient und Arzt. Und mal ehrlich: Ich bin lieber eine Chiffre in einem zentral geführten Verzeichnis, als dass ich die Krankheitshistorie und Behandlungsformen bei Ärztewechsel mühselig runterrattern muss und wichtige Details vergesse (die ich dann unwissentlich vorenthalte).
Gegner würden mit Pseudowettbewerb argumentieren
Ich weiss, dass ich mir mit diesen Forderungen gar keine Freunde unter den Exponenten des Gesundheitswesen schaffen werde. Denn eine solche Datenbank würde erst recht den Weg für eine Einheitskrankenkasse ebnen (die hoffentlich bald in den Räten behandelt und debattiert wird). Krankenkassen, Ärztelobbys und Gesundheitspolitiker würden mit dem notwendigen Qualitätswettbewerb und unterschiedlichen Handhabungsformen zwischen den Apotheke und Arztpraxen argumentieren, den man mit mit einem einheitlichen Datenregister auf sozialistische Weise untergraben versucht.
Dabei würde ein solche Datenharmonisierung gerade bei Routineuntersuchungen die freie Ärzte- und Apothekenwahl gar nicht zwingend einschränken, sondern nur die Kontinuität von Behandlung stützen. (Das Rezeptezetteli hab ich meinem Chaos übrigens verhünert, der erneute Gang zur Praxis für deren Wiederbeschaffung wird also unvermeidlich sein).
Die Rechte am perfekten Konzertfoto
Nicht nur internetunaffine Berufsgruppen leisten sich den Luxus, mit unnötigen analogen Datenerhebungsformen den Luxus die Entwicklungen im Web konsequent zu ignorieren. Sondern auch Berufsträger, die massgeblich von Vernetzung und Verbreitung im Internet ihrer auditiven Erzeugnisse profitiert haben: Musikbands. Ein zufällig gesehener Beitrag vor ein paar Wochen beim Sender NDR hat mich verblüfft: Popmusiker wie Coldplay, Rihanna und Norah Jones drangsalieren Konzertfotografen mit Knebelverträgen und zwingen ihnen absurde Arbeitsbedingungen auf: Professionelle Bilder knipsen ja, aber nur in einem bestimmten Zeitraum und über die Veröffentlichung befindet das Management des Stars. Ebenso über deren Vervielfältigung und Weiterverwendung. Das Management der jeweiligen Bands nimmt für sich das Recht an einem fremdproduzierten Bild in Anspruch.

Im Medienmagazin ZAPP wurde über die Knebelverträge, denen Fotografen während Konzerte unterworfen werden, berichtet.
Verschärfte Bildrechte von Profifotografen vs. Smartphoneschnappschüsse von Amateuren
Streiten die Musiker für den Schutz ihrer Urheberrechte im Internet, so treten sie dieses anderer verwandten Künstlergruppen (Fotografen) mit Füssen . Dieses harte Durchgreifen von Künstlern mutet beim heutigen Konzertpublikum, mit hoher Smartphonedurchdringung und damit verbundenen hohen Rate an Fotografenlaien, wie ein Anachronismus an. Sind solche Zwangsverträge eine Antwort auf die machtlose Verbreitung von Bildern auf Social Networks durch Konzertbesuche und Musikkritiker zu verstehen?
Digitalisierung nicht mit Schikanen und Lobbyismus bekämpfen
Bei allen Nachteilen des Musikbusiness: Solche schamlosen Massnahmen zeugen von absolutem Realitätsverlust einiger narzisstischer Popstars und sind zum Nachteil einer Berufsgruppe, auf deren musikjournalistischen „Goodwill“ sie nach wie vor massgeblich angewiesen sind.
Gewisse Relikte aus dem Offline-Zeitalter mögen ihre Berechtigung haben und sollen von Bestand bleiben. Wenn aber Interessengruppen mit unkreativen Abmahnungen oder taktisch bedingten Verzögerungen gegen eine unaufhaltsame Entwicklung ankämpfen, habe ich dafür wenig Verständnis. Vor allem wenn dadurch Kosten künstlich hochgeschraubt oder andere Berufsgruppen dadurch schikaniert werden.